Polizisten zocken für die Cybersicherheit
Erfolgreiches Projekt der Polizei Hannover: „Officer“ spielen Minecraft und Co., chatten und beantworten Fragen

Gemeinsam zocken und Fragen beantworten: Hannovers Polizei geht nicht nur Streife, sie ist auch im Netz auf Plattformen wie Twitch präsent und ansprechbar.Foto. Moritz Frankenberg/dpa
Hannover. Es ist Dienstagnachmittag, 15 Uhr. Während draußen die Polizeistreifen durch Hannover rollen, sitzen zwei Beamte in einem kleinen Raum an der Waterloostraße – mit Headset, Controller und Blick auf den Bildschirm. Auch hier ist die Polizei auf Streife. Diesmal nicht auf der Straße, sondern live im Videochat vor Tausenden Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Streaming-Plattform Twitch.

Vor Kameras spielen Beamtinnen und Beamten der Polizeidirektion Hannover (PD) bekannte Videospiele wie „Minecraft“ oder „Fall Guys“. Nicht gespielt werden Ego-Shooter und andere Spiele, in denen geschossen oder anderweitig Gewalt virtuell ausgeübt wird. Im Stream sprechen sie live mit den Zuschauern im Internet über Cyberkriminalität, häusliche Gewalt, Desinformation oder Karrierechancen bei der Polizei. Die Polizeiarbeit im Livestream ist ein bundesweit einmaliges Pilotprojekt. Seit Dezember 2024 ist die PD Hannover regelmäßig auf Twitch unterwegs – und schreibt damit deutsche Polizeigeschichte.

Das Publikum kann nicht nur live zusehen, sondern auch direkt über die Chat-funktion mit den Polizisten interagieren. Schon nach wenigen Minuten erscheinen erste Fragen im Chat: „Was tun bei Mobbing?“, „Wie wird man Polizist?“ – und genau hier beginnt die eigentliche Arbeit der Gaming-Beamten. Es ist keine gewöhnliche Schicht, sondern eine digitale Begegnung auf Augenhöhe. Statt Blaulicht gibt es Emoji-Reaktionen, statt Dienstwagen ein Gaming-Setup. Doch das Ziel bleibt gleich: Aufklären, schützen, Vertrauen schaffen – bei einem Publikum, das die Polizei sonst nur schwer erreicht: Jugendliche ab 13 Jahren.

Zweimal die Woche gehen die Beamten der PD Hannover live. Auf der Plattform treten sie in Uniform als sogenannte Twitch-Officer auf. Twitch-Officer werden sie bei der Polizei einheitlich genannt, weil die Teammitglieder unterschiedliche Dienstgrade haben.„Janni“, „Sini“, „Jo“, „Summer“ und „Stevie“ stellen sich mit Controller und Headset den Fragen und Themen junger Menschen.

Was für Außenstehende wie ein ungewöhnlicher Einsatz wirkt, ist strategisch durchdacht: „Twitch ist für uns ein Werkzeug der Öffentlichkeitsarbeit“, sagt Koordinator Jan-Niklas Kansteiner alias „Officer Janni“. Um die junge Zielgruppe mit Schwerpunkt 13 bis 20 Jahre zu erreichen, müssen die Beamten dort präsent sein, wo diese sich aufhält. „Wir wollen zeigen, dass das Internet kein ‚rechtsfreier Raum‘ ist“, betont der Twitch-Beamte. Das Projekt, ursprünglich auf sechs Monate angelegt, wurde wegen seines Erfolgs bis Ende 2025 verlängert.

Anfangs wurde das Projekt skeptisch beäugt – intern wie extern. Doch als Streamer wie Papaplatte (2,8 Mio. Follower) und LetsHugoTV (eine Mio. Follower) auf die Polizei-Streams reagierten, stieg die Reichweite sprunghaft an. Mittlerweile zählt der Kanal über 42.000 Follower, der erfolgreichste Stream erreichte mehr als 700.000 Zuschauer. Sogar die Bewerbungsseite der Polizei war zeitweise überlastet, nachdem Twitch-Streamer Zarbex (eine Mio. Follower) und Schradin (rund 450.000 Follower) im Stream zu Gast waren und Fragen aus ihrer Community stellten.

Doch Reichweite ist nicht alles: Immer wieder würden Zuschauer im Chat konkrete Fälle schildern – von Mobbing über Belästigung bis zu sexuellen Übergriffen – und bitten um Einschätzung, sagt Kansteiner. „Mehrere Strafverfahren wurden über den Austausch eingeleitet“, so der Polizist. „Wirkung bedeutet für uns, wenn junge Leute sagen: ‚Endlich habe ich das zur Anzeige gebracht‘“, sagt Kansteiner. In der Spitze wurden über 46.000 Chatnachrichten im Stream gezählt. Für die Gaming-Beamten ein Zeichen für Interaktion und Vertrauen.

Im Schnitt nutzen die fünf Beamten etwa fünf Stunden pro Woche für den Stream – offiziell während ihrer Dienstzeit. Die Rechnung scheint aufzugehen. Während die Polizei bei einer Infoveranstaltung an Schulen etwa 30 bis 40 Jugendliche erreiche, schalten im Livestream regelmäßig Tausende Menschen ein, so Kansteiner.

In Streams reagieren die Gaming-Polizisten im Chat, erklären Abläufe und schaffen Verständnis. „Wir wollen nachvollziehbar machen, warum die Polizei handelt, wie sie handelt“, sagt Kansteiner. Der Austausch soll auf Augenhöhe stattfinden – immer mit klarem Ziel: „Die Polizei soll ansprechbar und nahbar sein.“

Die Reaktionen aus der Community fallen überwiegend positiv aus. Aussagen wie „Cool, dass ihr da seid“ zeigen, dass die Präsenz wirkt. Auch über Twitch hinaus. Viele Inhalte verbreiten sich inzwischen auf Tiktok oder Instagram – ohne Zutun der Polizei und oft mit Millionenreichweite. Die Deutsche Polizeigewerkschaft Niedersachsen bewertet das Projekt grundsätzlich positiv. „Twitch bietet die Chance, mit jungen Menschen in Kontakt zu treten, Vorurteile abzubauen und Transparenz zu schaffen“, sagt Sprecherin Katja Papazoglou. Die Plattform könne ein innovatives Instrument sein, um die Polizei zu präsentieren – wenn die Inhalte professionell gestaltet sind.

Gleichzeitig mahnt die Gewerkschaft zur Sorgfalt: Die Kommunikation müsse authentisch, transparent und verantwortungsvoll sein. Und: Die Initiative dürfe nicht wie eine „Spielerei“ wirken, so Papazoglou. Auch der Ressourceneinsatz müsse langfristig bewertet werden – das sei aber erst zu einem späteren Zeitpunkt möglich.

Die Deutsche Hochschule der Polizei (DHPol) greift das Twitch-Projekt inzwischen in ihrer Ausbildung auf. Sie diskutiert es als Beispiel für digitale Authentizität und strategische Kommunikation in der Plattformgesellschaft – mit Blick auf Chancen wie Nähe und Partizipation, aber auch Risiken wie Hatespeech oder Desinformation.

„Officer Janni“ betreut den Kanal und das Community-Management mittlerweile in Vollzeit. Die anderen Beamten streamen als Unterstützung abwechselnd als Gäste. „Wenn ein Notfall ist, sind die Kollegen natürlich im Einsatz“, stellt er klar. „Wir verdienen damit nichts – und das soll auch so bleiben. Ein Abo-Modell, das wäre auch nicht sinnvoll“, sagt er. Es gehe um Authentizität und Prävention – nicht um Klickzahlen.

Trotz politischer und gesellschaftlicher Vorbehalte zeigt sich die Polizei Hannover von dem Projekt überzeugt. Auch andere Polizeistellen im In- und Ausland zeigen Interesse. Das Landeskriminalamt Niedersachsen unterstützt die Initiative ausdrücklich. Langfristig soll die Initiative auch über Twitch hinaus wirken. Der nächste Schritt ist bereits in Planung: Noch 2025 will die PD Hannover mit einem „Gaming-Mobil“ beispielsweise Jugendzentren und Schulen besuchen. „Wir wollen dorthin gehen, wo die Jugendlichen sind – digital und analog“, sagt der Twitch-Officer.



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