Dafür gibt es mehrere Gründe: Zum einen gestaltet sich eine Befragung schwierig, weil die wenigsten Betroffenen ihre Situation zugeben würden. Zum anderen überbrücken Menschen zunehmend ihre Wohnungslosigkeit, indem sie bei Freunden und Verwandten einen Unterschlupf auf Zeit finden. Und nicht zuletzt verlieren Menschen ihr Zuhause, weil sie die Miete nicht mehr zahlen können – dies aber derzeit nicht absehen können. „Wir können also keine Prognose abgeben, wie sich die Wohnungslosigkeit entwickelt“, sagt Sozialdezernentin Sylvia Bruns.
Angesichts des angespannten Wohnungsmarktes, insbesondere für Mieterinnen und Mieter mit geringem Einkommen, rechnen Fachleute allerdings damit, dass sich die Situation verschärft. Dieser Entwicklung will Hannover mit einem ambitionierten Plan entgegenwirken. Er hat das klare Ziel, die Obdachlosigkeit bis zum Jahr 2030 zu vermeiden. Insgesamt 60 Punkte umfasst das Strategiepapier, an dem im vergangenen Jahr 175 Interessierte aus 25 Institutionen in 19 Arbeitsgruppen mitgewirkt haben. Dem Beteiligungsprozess folgt nach Aussage Onays jetzt ein Gremium mit Expertinnen und Experten, das die Vorschläge unter dem Aspekt der Machbarkeit bewertet, ehe der Rat über die Umsetzung abstimmt.
In den kommenden fünf Jahren stellt Hannover insgesamt 80 Millionen Euro zur Verfügung, unter anderem für das Housing-First-Konzept. Dahinter steht das Konzept, Menschen ohne Obdach eine Wohnung anzubieten und aus diesem sicheren Umfeld heraus die Hilfsangebote zu unterbreiten. Weitere Vorschläge aus dem Beteiligungsprozess sind ein Konzept zur Wohnraumakquise, das Schaffen von städtischen Belegwohnungen und als Novum das Bürgschaftswohnen. Dabei verpflichtet sich eine Institution, gegebenenfalls Mieten zu übernehmen und damit Betroffene vor der Kündigung ihrer Wohnung zu bewahren.
Die Stadt Hannover ändert ihre Strategie bei der Unterbringung von Geflüchteten und Obdachlosen. Bis 2030 plant die Verwaltung 5000 kleinere Wohnungen mit Bad, Küche und Schlafzimmer. Im Gegenzug sollen die Plätze in Gemeinschaftsunterkünften reduziert werden. Ein aktuelles Beispiel bietet die Jugendwerksiedlung an der Böllnäser Straße. Dort stehen den Bewohnerinnen und Bewohnern künftig Wohneinheiten mit zwei statt drei Zimmern zur Verfügung. Das Raumangebot soll nicht sinken, sondern konstant bleiben, wie Sozialarbeiter Stefan Grigat sagt. „Wir gestalten die Einheiten so, dass in jedem Haus weiterhin zwölf Menschen wohnen können.“
Für Menschen, die eine Übernachtung in Gebäuden scheuen, könnte die Stadt nach dem jetzigen Plan eine eingezäunte und von einem Wachdienst gesicherte Fläche anmieten und Schlafzelte aufstellen.
Bereits seit 2022 gibt es die „Fachstelle Wohnungserhalt“ im Sozialdezernat, deren Beschäftigte dem Verlust von Wohnraum entgegenwirken sollen. Sie bieten beispielsweise eine Hilfestellung bei Konflikten mit Vermietern und Nachbarn. Nach Aussage von Alexander Knoop, Leiter des Bereichs Gesellschaftliche Teilhabe, bearbeiten die Fachleute gut 1000 Fälle jährlich. „Dazu gehört ein einmaliger Antrag ebenso wie eine langfristige Begleitung”, sagt Knoop. Das Team „Auszugsmanagement“ unterstützt bereits untergebrachte Menschen bei der Suche nach einer alternativen Wohnung. Beide Angebote wollen die Aktiven noch stärker bekannt machen, unter anderem über die Sozialarbeit und in Zusammenarbeit mit sozialen Trägern.
„Wer auf der Straße lebt, ist medizinisch oft nicht gut versorgt“, sagt Bruns. Diese Situation wolle die Stadt verbessern. Ein Beispiel: In der städtischen Unterkunft Wörthstraße finden sieben Pflegebedürftige ein Einzelzimmer, der Pflegedienst Sida übernimmt die Betreuung. Die Kosten trägt die Region. Als wichtigen Baustein bezeichnet die Sozialdezernentin auch den sogenannten „Mecki 2.0 – eine Kombination aus Notschlafstelle, Tagesaufenthalt und medizinischer Versorgungsstation. Die Einrichtung in der Innenstadt soll im Spätsommer 2026 an den Start gehen.
„Wir stellen uns der Aufgabe, die Obdachlosigkeit zu vermeiden“, betont Onay. Allerdings gelinge dieses Ziel nur dann, wenn auch Land und Bund ihre Aufgaben erledigten. Die neue Bundesregierung müsse die Bekämpfung von Wohnungslosigkeit auf die soziale Agenda setzen und beispielsweise die Finanzhilfen für den sozialen Wohnungsbau erhöhen.