Nun will man das artistische Können der jungen Frau alles andere als schmälern, aber die Komik, die sie als Clownin mitbringt, ist wirklich eine Wucht. Auch bei der Verabredung mit uns im Zoo – wir dachten, Yukon Bay würde wegen ihres Heimatlandes irgendwie passend sein – stolpert sie hin und wieder an Löwen, Elefanten und Giraffen vorbei, verzieht das Gesicht, als hätte sie in die sauerste aller Zitrusfrüchte der Welt gebissen. So, als müsste das einfach aus ihr heraus.
Es erinnert alles total an ihre Nummern in „Seasons“, ob als verpeilt-verliebte Strandbesucherin oder als schicke Alpinistin, die eher von ihren Skiern beherrscht wird als andersrum. Auch Menschen aus ihrem Umfeld stellen schnell fest, dass sie „wirklich so ist“. Oder wie Pépin über sich selbst sagt: „I‘m the joke“ – „Der Witz bin ich.“ Bei den Eisbären im Zoo angekommen, am Yukon Bay, lacht sie auch schon wieder. „Ich wohne in Kanada zwar am anderen Ende, ist aber trotzdem schön hier.“ Die Künstlerin stammt tatsächlich aus Ville de Québec in der zweit-bevölkerungsreichsten Provinz Québec. Eisbären hat es da eher weniger. Dem Treffen tut das aber keinen Abbruch. Im Gegenteil.
„Ich liebe es, Welten zu kreieren, in die ich eintauchen kann“, erläutert Pépin. Das gelingt ihr gut, ihrer Fantasie scheinen keine Grenzen gesetzt. Das beweist sie mit der bereits genannten Strandnummer, die sie auch als Abschlussprüfung ihres Studiums an der École de cirque de Québec präsentierte. Die begeisterte nicht nur die Lehrkräfte an der Zirkusschule, sondern brachte ihr den ersten Vertrag ein. Lustig: An einem Strand war Pépin nämlich so gut wie noch nie in ihrem Leben. „Einen Swimmingpool mag ich außerdem nicht, Duschen geht gerade so.“ Wieder blitzt der Schalk in ihrem ganzen Gesicht auf: „Ich bin in meinem Leben auch noch nie Ski gefahren“, gesteht sie im Hinblick auf die Vorstellung. „Für die Show habe ich das erste Mal Skier an den Füßen gehabt. Vielleicht ist es deshalb so witzig.“Hinter dem, was auf der Bühne wie vis-à-vis so leicht daherkommt, steckt harte Arbeit. Pépin hat intensive Vorbereitungsjahre mit Workshops hinter sich gebracht und eine Clownschule besucht, ehe sie sich an der Zirkusschule bewarb – und abgewiesen wurde. Dreimal. Die junge Frau blieb dran, schrieb der Direktorin sogar einen langen Brief, in dem sie akribisch erörtere, warum sie unbedingt aufgenommen werden muss. Die Disziplinen sahen das Clownsein nämlich nicht vor, also wählte sie neben ihrer Affinität Trapez noch Chinese Pole und Bodenakrobatik – und packte es.
„Ich wollte ja ernsthafte Trapezkünstlerin werden, aber nur das ging einfach nicht.“ Also blieb sie die einzige Studentin mit Clown als Fokus, statt in einer Gruppe zu lernen, saß sie ihrer Lehrerin allein gegenüber. „Wegen Corona trugen wir Maske, das war wirklich hart“, erinnert sie sich. Mimik üben, ohne sie zu sehen, eine Herausforderung. Aber: „Sie haben alle erkannt, dass ich wirklich Clownin bin.“ Eine mit Leib und Seele, wie das Hannover-Publikum sofort erkannt hat – Raphaëlle Pépin ist der heimliche Star der Show. Sie und die anderen Künstlerinnen und Künstlerin des Ensembles (ein paar haben sogar gemeinsam studiert) sind eine eingeschworene Truppe: Sie wohnen zusammen, kochen zusammen, unternehmen in der spielfreien Zeit Spaziergänge und Ausflüge. „Wir waren zum Beispiel in Amsterdam und hier auf dem Weihnachtsmarkt“, zählt Pépin auf. Sogar den Weihnachtscircus auf dem Schützenplatz haben sie sich in einer Nachmittagsvorstellung angesehen. „Ich war in meinem Leben noch nie zuvor in einem Zirkuszelt. Ich kenne Zirkus nur von der Straße oder aus dem Theater.“Nach dem 19. Januar, dann ist Dernière von „Seasons“, ist für Pépin und den Rest der Truppe aber lange nicht Schluss mit lustig. Sie treten die Heimreise nach Kanada an, und die 23-Jährige wird schon am 26. Januar im heimischen „Circus Minus“ bei einer Show zu sehen sein. Außerdem spielt sie oft in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtung, bespaßt junge und alte Patientinnen und Patienten. „Für viele ist es der einzige Besuch, den sie bekommen“, musste Pépin traurig feststellen. Ihre Sachen für einen längeren Trip packt sie dann wieder im Frühjahr, „Seasons“ geht nämlich im GOP Essen ab April für drei Monate in die nächste Runde, bevor für ein weiteres Vierteljahr die Spielzeit in Münster startet.