Seit 15 Jahren ist das Café von Markus Glaubitz (51) ein Treffpunkt in der Nordstadt. Doch am Engelbosteler Damm 52 mit der großen Außenterrasse und den auf alt getrimmten Sesseln im Innenraum kommt es regelmäßig zu Staus am Tresen. „Wir mussten das entzerren.“ Gäste, die schnell einen Espresso trinken oder die dritte Latte-Macchiato-Runde bestellen. Und Menschen, die sich in Ruhe über ein Dutzend Kaffee- und sechs Espressosorten informieren wollen, die „24 Grad“ röstet. Die Lösung liegt auf der gegenüberliegenden Straßenseite. „Da hatte nach 30 Jahren ein Sonnenstudio aufgehört, wir haben die Fläche übernommen.“
Es sind zwei Kaffeewelten links und rechts vom E-Damm entstanden. Auch im neuen Shop mit der Hausnummer 35 gibt es ein paar Sitzplätze, Kardamomschnecken und Bananenbrot. Aber vor allem gibt es Beratung. Wer will, kann eintauchen in ein Kaffeeuniversum. Wie bereitet man „La Benedicion“ am besten zu? Glaubitz holt ein futuristisch aussehendes gläsernes Gerät aus dem Regal, das auch in ein Chemielabor passen würde, es ist ein Pulsar Brewer. „Den hat ein Ingenieur aus den USA entwickelt“, erläutert Glaubitz, der Brewer kommt ohne Filterpapier aus. Dann spricht Glaubitz über Immersion und Extraktion, Partikelauflösung und Säure.
Wer bei Filterkaffee an Omas Kaffeekränzchen denkt, wird bei „24 Grad“ (die Firma heißt so, weil Kaffeepflanzen besonders gut zwischen 23 und 25 Grad nördlicher und südlicher Breite gedeihen) eines Besseren belehrt. „Von Hand aufzubrühen ist sehr aufwändig“, sagt Glaubitz, der diese Art der Zubereitung mehr schätzt als Siebträgermaschinen. „Espresso ist eine andere Welt. Ich bin der Filtertyp.“
Und der Filter hat sich seit 1908, als sich die Berlinerin Melitta Bentz den Apparat patentieren ließ, sehr verändert. Bei „24 Grad“ kann man die Bohnen aus Kolumbien, Äthiopien, Panama, Kenia oder Mexiko von den Expertinnen und Experten hinter dem Tresen mit diversen Filtern zubereiten lassen: French Press oder Karlsbader Kanne, Aero Press oder Clever Dripper, Kalita oder Origamifilter mit gezackten Porzellanrändern, der dem heißen Wasser eine andere Fließrichtung gibt. „Wir bieten zehn verschiedene Methoden. Es ist eine Frage der Hingabe, von Lust und Leidenschaft.“ Doch der Blickfang im neuen „24 Grad“ steht hinter einer Glasscheibe und schallgedämmten Wänden: Hier kann man beobachten, wie die Röstmaschine 150 Kilo Bohnen am Tag zubereitet. Das reicht schon lange nicht mehr, deshalb investiert Glaubitz: Demnächst wird eine gebrauchte „Loring Kestrel“ geliefert, die er für 134.000 Dollar in Zürich gekauft hat. Darüber dürften sich auch die Nachbarn freuen: „Die neue Maschine riecht nicht. Sie hat ein geschlossenes System, in dem die heiße Luft wieder dem Röstvorgang zugeführt wird.“ Einflüsse von außen, wie Luftfeuchtigkeit und Raumtemperatur, werden isoliert: „Wir müssen nicht mehr auf Wetter und Jahreszeit achten.“ In dem Raum, aber vor allem im Keller, lagern die Säcke mit den Kaffeebohnen. Glaubitz greift in einen Sack, lässt die hellen Bohnen durch die Finger rieseln. „Weißer Malabar“, sagt er, „ein Monsunkaffee“. Der Begriff stammt aus einer Zeit, in der Bohnen wochenlang auf der Schiffsreise von Indien nach Europa den Monsun-Winden ausgesetzt waren und der Kaffee dadurch besonders sanft und säurearm wurde. „Er verkauft sich sehr gut.“ Glaubitz selbst hat andere Vorlieben: „Säure im Kaffee ist nicht schlimm, sie macht ihn spannend.“ Er liebt es auch, halbe Tassen kalt werden zu lassen und dann erst zu trinken.
Der 51-Jährige hat Ökotrophologie und Umweltökonomie studiert, „ich habe durch die Wissenschaft oft einen anderen Blickwinkel auf die Prozesse“, damit meint er Röstung wie Zubereitung. „Ich will mein Wissen teilen“, kündigt er an und will das Seminarprogramm für Gäste weiter ausbauen, aber auch die inzwischen 45 Mitarbeitenden intensiv fortbilden. „Kaffeekönig vom E-Damm“ will sich Glaubitz dennoch nicht nennen lassen. „Wir sind das Kaffeeteam der Nordstadt“, betont er. „24 Grad“ hatte er 2009 mit einem Kompagnon gegründet, der später ausstieg. Jetzt steht Glaubitz im neuen Laden und stellt fest: „Das ist das, was wir vor 15 Jahren eigentlich geplant hatten.“ Kommt die neue Röstmaschine, will er die Kapazitäten verdoppeln. „Ich habe noch viele Ideen in der Schublade.“