„Es gibt rund 30 verschiedene Arten bei uns und nur eine davon macht Probleme“, sagt Vollrath Wiese, Vorsitzender der Deutschen Malakozoologischen Gesellschaft (DMG), die sich seit fast 160 Jahren der Erforschung von Weichtieren verschrieben hat. Zunächst einmal gilt es zu klären: Warum sind es dieses Jahr eigentlich so viele?
„Die Population der Schnecken – ganz gleich ob mit oder ohne Gehäuse – hängt stark von den Witterungsbedingungen der letzten Monate ab“, erklärt Wiese. Es war feucht, der Winter war mild, daher haben mehr Tiere überlebt als in den Jahren mit viel Frost und Trockenheit. „Feuchtlufttiere“ nennt er die Tiere, die zu rund 85 Prozent aus Wasser bestehen, sich bei Trockenheit verkriechen oder verenden.Nacktschnecken gibt es in zahlreichen Farben und Mustern, Größen und Formen – von der Genetzten Ackerschnecke über die Rote Wegschnecke bis zum majestätischen Tigerschnegel. Auch ihr Appetit unterscheidet sich. Der Pilzschnegel zum Beispiel trägt sein Leibgericht im Namen. Für viele „die“ Nacktschnecke schlechthin ist die orangebraune Spanische Wegschnecke. Das in Ausnahmefällen bis zu 15 Zentimeter lange Tier ist die eine Nacktschneckenart, die in Gärten wirklich Probleme bereitet. „Noch drei andere Arten fressen hin und wieder Grünpflanzen, doch nie richten sie einen derartigen Schaden an“, sagt Wiese.
Im Gemüsebeet können sie zu einer wirklichen Plage werden. Und nicht nur für Gärtner und Gärtnerinnen: Die Spanische Wegschnecke – eigentlich kommt sie vermutlich aus Südfrankreich – ist eine invasive Art und macht den hiesigen Nacktschnecken zu schaffen, vor allem der Wegschnecke, die für Laien äußerlich oft kaum von der invasiven Art zu unterscheiden ist. „Die Spanische Wegschnecke ist schneller, stellt weniger Ansprüche bei der Ablage ihrer Eier, hat zäheren Schleim und verdrängt die heimischen Arten auch durch die Bildung von Hybriden“, so der Experte.
„Große Wegschnecken haben generell nur wenige Fressfeinde“, erklärt Wiese. „Wenn es um das Fressen von ausgewachsenen Tieren geht, helfen Laufenten.“ Die bis zu 76 Zentimeter großen Vögel stammen ursprünglich aus Südostasien und vertilgen mit Vorliebe Nacktschnecken und deren Eier. Besonders, wenn man eine größere Fläche hat, mit Freiraum zwischen den Beeten, können sie eine gute Lösung sein. Auf engem Raum könnte es dagegen vorkommen, dass die Laufenten nicht nur die Schnecken verspeisen, sondern auch die Gewächse niedertrampeln, die sie eigentlich beschützen sollen. „Einen Versuch wert ist es aber allemal“, sagt Wiese.
Nicht zuletzt deshalb, weil die am meisten genutzten Bekämpfungsmethoden oft verheerende Wirkungen auf die Artenvielfalt im Garten haben. „In einem funktionierenden, gedeihenden Garten hat man gleichzeitig etwa 25 verschiedene Schneckenarten“, sagt der Experte. Die allermeisten davon beseitigen faulige Pflanzenreste, Pilze, Aas oder sogar andere Schnecken und Kleinlebewesen.
chemische Präparate oder Bierfallen nicht der richtige Weg, betont Wiese. „Der Kollateralschaden ist einfach zu groß und gefährdet die Gesundheit des gesamten Gartens.“ Auch von Nematoden, also Fadenwürmern, rät er ab. Oftmals richten die gegen ausgewachsene Wegschnecken nichts an, befallen aber gerade nützliche Gehäuseschnecken. „Schneckenzäune können helfen, die Tiere zur vergrämen, genauso das biologisch verträgliche Präparat ‚Schnexagon‘“, rät der Fachmann. Damit ließen sich Blumenkübel einschmieren, was die Oberfläche so glatt macht, dass die Schnecken ihren Halt verlieren. „Das nützt vor allem auf dem Balkon oder der Terrasse, muss jedoch regelmäßig aufgetragen werden.“ Bei Hausmitteln reagiert er zurückhaltend: „Ob der Einsatz von Kaffeesatz Kaffeesatzleserei ist oder wirklich etwas bringt, kann ich nicht beurteilen.“Daher seienGenerell würde Wiese immer verhindern wollen, die Tiere umzubringen. „Falls das jedoch unbedingt notwendig sein sollte, dann bitte so schnell und präzise wie möglich.“ Eine Möglichkeit: mit dem Spaten durchtrennen. Eine andere: einsammeln und ins Gefrierfach tun. Das sei zwar nur die am wenigsten quälende Form der Tötung und immer noch nicht unbedenklich. „Was man wirklich auf gar keinen Fall tun darf, so gut es auch gemeint ist, ist sie einzusammeln und in die Natur, in den Wald oder das Moor zu bringen.“ Genau dort, in jenen Bereichen, die von den Spanischen Wegschnecken noch nicht überbevölkert sind, verursachten sie nämlich die größten ökologischen Schäden.
Wiese rät: „Man kann etwas anpflanzen, das die Schnecken nicht mögen, schützt das Basilikum zum Beispiel durch einige rundum gepflanzte Ringelblumen.“ Oder man versucht es mit einem „Opferbeet“, mit Pflanzen, die die Schnecken besonders mögen, sodass sie sich auf diesen Teil des Gartens konzentrieren. Und dann gibt es noch den Trick, den der Experte selbst am allerhäufigsten anwendet: Man sammelt die Tiere einzeln ein und schmeißt sie auf den Komposthaufen. „Da haben sie so viel zu fressen, dass sie meist direkt dortbleiben.“
Ob Schnecken Schmerzen empfinden, sei vor allem eine Frage der Definition, so Wiese: „Braucht es einen Schmerzrezeptor? Und wenn ein Tier ihn nicht hat – wie Schnecken oder Fische –, dann hat es keine Schmerzen?“ Eine schwierige Frage, da sich ihr Nervensystem so sehr von unserem unterscheidet. Schnecken haben kein Gehirn, könnten jedoch Unwohlsein und Stress kommunizieren: „Gehäuseschnecken ziehen sich zurück oder schlagen bei Angriffen mit ihrem Gehäuse, Nacktschnecken ziehen sich zusammen oder richten sich auf.“
Ohnehin gehört die Nacktschnecke zu den meistunterschätzten Tieren, ist Wiese überzeugt. Der letzte gemeinsame Vorfahre aller heutigen Schneckenarten lebte vor rund 500 Millionen Jahren – eine Meeresschnecke mit verschließbarem Gehäuse. Seitdem haben sich bis zu 240 000 Arten entwickelt, einige sind im Wasser geblieben, andere hat es an Land verschlagen.
Während Einsiedlerkrebse ihre Behausung nach Belieben verlassen können, ist das Gehäuse der Schnecken ein Exoskelett, ein außen angebrachtes, überlebensnotwendiges Gerüst, das die eigenen Organe beinhaltet. „Einige Schnecken haben dieses Gehäuse behalten und über die Jahre verformt“, sagt Wiese. Nur die Nacktschnecken haben das Gehäuse über die Zeit vollständig zurückgebildet. „Es gibt zwei Wege, auf denen der Abschied vom Gehäuse vonstatten ging“, erklärt Wiese. Entweder wuchsen die Schnecken über die Jahrmillionen vorne aus dem Gehäuse heraus oder verlängerten ihr Hinterteil. „Was vorher im Gehäuse saß, befindet sich jetzt im langen Körper, der aber noch Spuren des ehemaligen Gehäuses enthält.“
Bei einer Wegschnecke befinden sich die Organe unterhalb des sogenannten Mantels – dem glatteren, dickeren Vorderteil des Körpers. „Es macht die Fortbewegung vor allem in engem Terrain deutlich leichter, wenn man keinen Rucksack mit sich herumtragen muss“, sagt Wiese. Den Schutz des Häuschens machen die Tiere durch eine zähere Schleimschicht wett.
„Nacktschnecken gehören nicht zu den beliebtesten Tieren“, gibt auch Schneckenfreund Wiese zu. Doch auch sie haben Fans. Ihn verwundert das nicht: „Wenn man mal so eine Nacktschnecke – es muss ja nicht gerade die Spanische Wegschnecke sein – auf seiner Hand hält und spürt, wie sie sich mit ihre Raspelzunge vorantastet, dann kann einen das schon erfreuen.“