Heute hilft die 44-Jährige Kindern aus Zuwandererfamilien dabei, die deutsche Sprache und Kultur zu erlernen. „Das ist doch der Schlüssel zur Gesellschaft“, sagt Di Fabio und strahlt.
In ihrem Beruf ist sie Teamchefin beim hannoverschen Industrieversicherer HDI. Mit vier Mitarbeitern kümmert sie sich um Risikoanalysen bei der Öl- und Gasförderung. „Im Beruf brauche ich messbare Ergebnisse“, sagt sie resolut. Sie ist viel unterwegs: Kürzlich war sie zu Besprechungen in London, demnächst fliegt sie für ihren Arbeitgeber nach Singapur. Kein „Nine-to-five-Job“ nach Stechuhr. Nur dienstagvormittags, da ist Di Fabio nicht im Büro. Dann turnt sie mit Kindern einer Vahrenwalder Kita im Bewegungsraum oder auf dem Außengelände herum, puzzelt oder nimmt sich Zeit für eine Partie Memory. „Ich hätte mir nie vorstellen können, dass es so viel Spaß macht“, sagt sie über ihr Ehrenamt: „Es erdet mich.“
Dabei stand am Anfang eher ein Zufall. Bei ihrem alten Arbeitgeber, dem Versicherer Hannover Rück, hatte sich Di Fabio jahrelang um eine Weihnachtsgeschenkaktion gekümmert, bei der Beschäftigte sozialen Initiativen Wünsche erfüllen. Dann kam erst Corona und erschwerte solche Projekte, danach der Jobwechsel. Aber ganz ohne soziales Engagement – das kam für Di Fabio nicht infrage.
Bei ihrer Suche nach einer neuen Betätigung stieß die junge Frau auf das hannoversche Freiwilligenzentrum und dessen Angebot für angehende Ehrenamtliche, sich über das Projekt Sprachzauber zu informieren. „Ich hätte mir nie vorstellen können, ein klassisches Ehrenamt zu machen – aber jetzt bin ich voll dabei“, sagt sie.
Das Auftakttreffen sei genau so gewesen, wie ihre Vorstellung vom Ehrenamt war. „90 Prozent waren Rentner und 95 Prozent Frauen“, beschreibt sie die Situation. Und natürlich waren fast alles Menschen dabei, deren Familien seit Generationen in Deutschland leben. „Ich habe mich wieder etwas exotisch gefühlt. Aber die Ansprache war toll – und das Thema Sprachen fasziniert mich sowieso“, sagt sie.
Das Projekt Sprachzauber, geleitet von Freiwilligenzentrums-Mitarbeiterin Constance Meuer, schickt Ehrenamtliche in hannoversche Kitas. Dort trainieren sie sehr niederschwellig Sprache mit Kindern, denen der Zugang zur deutschen Sprache fehlt. „Anfangs hatte ich mir vorgenommen, sehr viel vorzulesen“, verrät Di Fabio, „aber ich habe schnell gemerkt, dass schon die ganz normale Alltagsansprache beim Turnen oder Spielen hilft, Sprache zu erlernen.“ Es seien „wundervolle Momente“, wenn sie merke, wie sich ein Wortschatz vergrößere oder Kinder sich überhaupt trauen, schwierige Wörter auszusprechen.
Di Fabios Vater war bei VW Nutzfahrzeuge in Stöcken beschäftigt. Im Stadtteil lebte sie damals auch. „Bei uns zu Hause wurde kein Deutsch gesprochen“, sagt sie. „Als ich nach dem ersten Tag vom Kindergarten nach Hause kam, habe ich verzweifelt zu meiner Mutter gesagt, hier gebe es nur komische Kinder: ‚Die verstehen mich alle nicht.‘“ Heute dürfte es vielen ihrer Schützlinge ähnlich gehen. Knapp 100 Kinder besuchten die Kita des Stephansstifts, sagt Di Fabio: „Sie kommen aus 30 Nationen.“
Für ihr Ehrenamt in der Kita musste Di Fabio 2023 nicht nur ein blütenreines Führungszeugnis einreichen, sondern auch eine dreitägige Schulung absolvieren. Die Inhalte: Grundzüge der Pädagogik, Umgang mit Mehrsprachigkeit, Praxistipps, aber auch Fragen zur Abgrenzung gegenüber Eltern, Kindern und der Kita. „Was Constance Meuer als Ausbildungsleiterin aber besonders wichtig war: Verbindlichkeit“, sagt sie. Wenn sich jemand für ein Ehrenamt mit Menschen entscheide, müsse diese Entscheidung auch für eine gewisse Zeitspanne halten.
Für Di Fabio ist heute klar: „Mit dem Ehrenamt schenke ich mir selbst Zeit.“ An viereinhalb Tagen in der Woche sei der Job das Wichtigste. Aber am Dienstagmorgen gälten plötzlich ganz andere Prioritäten, sagt sie. „Der Einsatz in der Kita holt mich aus meiner Bubble und lässt andere Dinge wichtig erscheinen.“