Zehn Tage war die Klasse unterwegs. Von Oberstdorf sind sie über Spielmannsau, Holzgau, Kaisers zur Leutkircher Hütte gewandert. Weiter ging es über die Zammer Alm 1950 Meter hoch zur Braunschweiger Hütte, „die Königsetappe“, wie Detlef Knorrek sagt. Insgesamt liegt sie auf 2759 Metern in den Ötztaler Alpen. Gletscher und tolle Ausblicke gab es auf dem Piztaler Jöchl auf 2996 Meter Höhe. „Der Weg war sehr anspruchsvoll, schmal und steil. Das haben alle wahnsinnig gut gemacht“, sagt Knorrek.
Der Abstieg war dann eine Kletterpassage über ein Geröllfeld an Sölden vorbei bis nach Vent. Landschaftlich auch schön war die Wanderung über die Bella-Vista-Route nach Kurzrast in Italien und weiter auf dem Meraner Höhenweg.
„In Meran haben sich alle in den Armen gelegen und waren mächtig stolz“, sagt Knorrek. Für die Schülerinnen und Schüler sei die Tour eine ganz besondere Erfahrung gewesen. „Die Gruppe ist ein echtes Team geworden, wenn jemand nicht mehr konnte, haben andere mit Energieriegeln geholfen, Blasenpflaster wurden herumgereicht, sie haben sich gegenseitig gepuscht und aufeinander aufgepasst.“ Dafür haben sie auch die besonderen Erlebnisse gemeinsam geteilt. Zum Beispiel, als Steinböcke den Weg kreuzten. Oder die quirligen Murmeltiere, die sie gesehen haben, die Besteigungen der Gipfel, die fantastischen Ausblicke bis hin zu den Gletschern oder die Sonnenuntergänge in den Bergen. Und auch die Aufmerksamkeit, die sie genossen haben, war besonders: Denn als Klasse über die Alpen zu wandern, das hat bei den anderen Wanderern viel Bewunderung hervorgerufen.
Seit der 6. Klasse hat Detlef Knorrek auf diese Herausforderung hingearbeitet. „Das war ein echtes Pilotprojekt“, sagt er. Neben dem Sportunterricht wurde viel gewandert, im Harz und Deister, auch an Wochenenden. Das Wandern mit schweren Rucksäcken, das Gehen mit Stöcken wurde geübt, Ausdauer, Schnelligkeit wurden trainiert. Die Gruppe musste auf einen homogenen Fitnessstand kommen, damit sie im ähnlichen Tempo geht. In Biologie oder Erdkunde wurde die Alpenregion behandelt, auch Ökologie, Klimawandel, Wetterkunde, kalorische Ernährung und mehr waren Themen. Alle Kinder wurden Mitglied im Deutschen Alpenverein.
Alles, was sie an Kleidung und Ausrüstung brauchten, haben die Kinder selbst getragen. „Auch das musste vorab trainiert werden“, sagt Sportlehrer Knorrek: „Der Kleinste wog mit seinen 13 Jahren 43 Kilo und trug einen Neun- bis Zehn-Kilo-Rucksack – fast ein Viertel seines Körpergewichts! Aber: Umkehren, weil man keine Lust oder Kraft hatte – das geht in den Bergen nicht.“
Die Ausrüstung hatten die Familien nach und nach über die Jahre angeschafft. Manche Sachen wie die Merinoshirts wurden gesponsort. „Es gab eine detaillierte Packliste“, sagt Knorrek. Als Begleitung konnte er zwei Sportlerinnen gewinnen: die Rugby-Spielerinnen Elena Korn und Laura Dervari.
Zurück in Deutschland ist die 9b jetzt an der IGS List so etwas wie eine Berühmtheit. „Die ganze Schule hat mitgefiebert, ob es klappt!“ Sogar ein Film wurde gedreht, demnächst zu sehen über das Portal „Schulsport-Welten“.
Ob er so eine Tour wiederholt? Detlef Knorrek weiß es nicht: „Es ist eine Ausnahmeklasse!“, sagt der Lehrer, der immer wieder an der Schule mit besonderen Sportarten lockt: Skifahren, Canyoning, Wakeboarden, Surfen im Atlantik, Mountainbiken in den Bergen und mehr hat er als AGs angeboten.
Doch Judoka Knorrek ist auch ein Mensch, der genau abschätzt: „Diese Tour bedarf einer sehr gründlichen Vorbereitung“, sagt er. „Sie ist nicht mit jeder Klasse oder allen Kindern möglich!“
Als er vor drei Jahren die Klasse als Fachlehrer in Sport und Naturwissenschaften übernommen hatte, war ihm klar: Mit diesen Kindern könnte es klappen. Die Teilnahme war freiwillig. Und: „Die Kinder mussten robust und fit sein, sie sollten wirklich Bock darauf und ein gutes Sozialverhalten haben“, sagt der Lehrer mit Blick auf die daheimgebliebenen Schüler und Schülerinnen. „Da musste man manchmal unbequeme Entscheidungen treffen.“
Vom Sinn solcher Touren ist Detlef Knorrek überzeugt: „Ich bin auf alle mächtig stolz: Sie haben so viele Dinge gelernt, die sie sonst in der Schule nicht mitbekommen. Vor allem aber haben sie sich der Herausforderung gestellt und für sich echte Grenzen verschoben. Die brauchen jetzt vor nichts mehr Angst zu haben.“