Noch ist Olympia abstrakt. Erst kommenden Dienstag reist Hannovers Hochsprung-Ass in die pulsierende Megametropole Paris. Am darauffolgenden Freitag (2. August) steht ihr Vorkampf im Stade de France vor vielleicht 70.000 Menschen an. Onnen ist heiß auf den Trubel. Bei ihrer ersten Olympiateilnahme vor drei Jahren in Tokio ist bei den zuschauerlosen Spielen „der Funke nicht übergesprungen. Das Großevent habe ich nicht als Großevent wahrgenommen. Man wurde mit dem Bus von A nach B kutschiert, hat nichts mitbekommen. Keine Leute, kein Feeling“, erinnert sich die 29-jährige Hannoveranerin. Sie habe „das Bedürfnis, etwas nachzuholen. Das wird mich beflügeln, mit Spaß und Offenheit zu starten.“ Für sie seien es „die ersten richtigen Spiele. Deswegen hat Paris schon eine große Bedeutung für mich.“
2016 hatte sie es schon für Rio probiert. Ihr Bruder Eike, ebenfalls Hochspringer, hatte sich qualifiziert. Imke packte es angeschlagen nicht. Damals lag die deutsche Normhöhe bei 1,90 Meter. Jetzt, acht Jahre später, bei 1,97. Wie ihre deutsche Rivalin Christina Honsel (Wattenscheid) packte Onnen diese Höhe nicht, sie sprang dreimal 1,94 Meter. Über die Punktewertung sammelte sie aber ausreichend Zähler, um für die Olympischen Spiele nominiert zu werden, aktuell liegt sie auf dem 13. Platz der 32 Besten.
Tokio hat auch sportlich keine guten Erinnerungen hinterlassen. Für Onnen war im Vorkampf Schluss. Jetzt will sie „ins Finale“ am 4. August. „Ich bin deutlich fitter und konstanter als damals.“ Auch an „schlechten Tagen kann ich mindestens 1,90 Meter springen“. Fürs Finale muss sie wohl die 1,94 Meter überqueren. „Das kann ich“, sagt sie überzeugt.
Selbstbewusst kommt die 1,91 Meter große Leichtathletin ohnehin daher. Bei den deutschen Meisterschaften Ende Juni in Braunschweig lieferte Onnen einen Hingucker, indem sie in einem außergewöhnlichen Outfit an den Start ging. Schwarzer Einteiler mit transparenten Netzelementen am Rücken. Das Logo ihres Vereins, Hannover 96, und das eines Sponsors durften natürlich nicht fehlen. „Ich habe mir gedacht: Warum muss ich immer die Basics tragen, wenn ich auch was Cooles tragen kann?“ In diesem Fall ein Dress aus dem Turnbereich.
In den sozialen Medien erntete sie dafür nicht nur Lob. „Es gab schon Sprüche. Aber die kriegt jeder reingedrückt. Die Outfits von Leichtathletinnen laden ja generell immer dazu ein. Da müsste man schon komplett die Regeln ändern, bis das aufhört“, sagt sie kritisch.
Bei den Spielen trägt sie freilich die deutschen Farben. Neben dem Bundestrainer sitzen auch Teile ihrer Familie auf den Rängen, um sie unterstützen. Die Eltern und Bruder Kjell Onnen mit Freundin haben schon Karten, Bruder Eike probiert es noch. Mutter Astrid Fredebold-Onnen ist auch die Heimtrainerin. Ohne sie geht nichts.
Und Imkes Freund Falk Wendrich? Verzichtet auf einen Aufenthalt in Paris. Zu tief sitzt der Schmerz beim Hochspringer, es wegen eines Kreuzbandrisses 2023 nicht gepackt zu haben. „Es war sein Traum, bei Olympia dabei zu sein. Es würde ihm so schwerfallen, alles zu sehen in Paris. Ich verstehe das. Ich will und kann es nicht verlangen, dass er dabei ist“, sagt Onnen mit liebevollem Verständnis. Sie glaubt an die zweite gemeinsame Chance. In vier Jahren bei den Olympischen Spielen in Los Angeles.