Eng an eng liegen hier kinderreiche Familien neben verliebten Jungpärchen, Junggesellen neben pubertierenden Freundinnen, Rentner mit leicht schrumpeliger Haut (nicht alle!) neben tatooübersäten Fitnessstudiohelden (nicht alle!). Teilweise kann man kaum einen Fußbreit Raum zwischen den Handtüchern finden, um Lebensmittel und Getränke vom Kiosk zum eigenen Handtuch zu balancieren. Bei dem einen kleckern die Pommes, beim anderen das Eis, und zum mindestens 13. Mal fällt nun schon der Ball der kleinen Franzine-Chantal (5) auf die Nachbardecke. Streit? Böse Worte? Davon ist heute nichts zu sehen.
„Wir haben hier noch nicht ein einziges Mal Hausverbot erteilen müssen in dieser Saison“, sagt Bad-Betriebsleiter Mustafa Al Dahier nicht ohne Stolz in der Stimme. „Ricklingen ist ein Familienbad“, sagt er, und: „Hier ist die Welt in Ordnung.“
Das Ricklinger Bad ist in vielerlei Hinsicht eine Besonderheit. Nicht nur, weil es das einzige städtische Freibad in Hannover mit 15-PS-Rettungsboot ist. Das wird aber natürlich nicht im ordentlich blau gekachelten 50-Meter-Schwimmbecken benötigt, sondern für den angrenzenden See. Das Freibad hat einen Zugang zum Großen Ricklinger Teich und darin ein mit Schwimmbojen abgestecktes Revier, in dem Badeaufsicht gilt.
Chantal Krause aus dem Westen Hannovers hat gerade ihre Freundin Anna Saade aus Berlin zu Besuch und schwimmt im kühlen Seewasser. „Großartig“ bestätigen beide, als sie aus dem Nass steigen und die Haare trocken wuscheln. Sonst sei sie eher im Freibad Luthe (Wunstorf) oder im Blauen See (Altgarbsen), verrät Krause. Aber die Kombination aus Schwimmbecken, Liegewiese und Seebad sei hier „ziemlich toll“.
Am Sprungturm dagegen ist Energieabbau angesagt. Abude und Artiom (beide 12) wagen „Köpper vom Dreier“, Manaf (10) will sogar einen Backflip vorführen, ein Rückwärtssalto aus fünf Metern Höhe. „Den kann ich seit zwei Jahren“, sagt er stolz, und dass er jetzt in den Sommerferien zweimal pro Woche hier sei.
Rettungsschwimmer Sascha Howind führt Aufsicht und macht das mit klarer Autorität. Er weiß: „So ein Sprungturm hat eine gewisse Ventilfunktion.“ Vor allem die jungen Männer und solche, die es bald werden wollen, brauchen Gelegenheiten, um Testosteron abzubauen. Das war vor Jahrzehnten auf Schützenplätzen und an Baggerseen nicht anders als heute im Freibad. Aktuell stehen tatsächlich fast ausschließlich Jungs in der Schlange am Sprungturm. „Eigentlich ist es eher hälftig gemischt“, sagt Howind. Vielleicht sind die Mädels pfiffiger und gehen eher dann, wenn die Warteschlange nicht ganz so lang ist.
Carmen Pawlowsky (41) war mit ihrer gesamten Tagesplanung so schlau. Sie hat mit ihrer Partnerin und Tochter Ida (4) ein kleines Zelt aufgeschlagen, um sich auf der Liegewiese ein bisschen vor der Sonne abzuschirmen – und vor dem Trubel. Sie ist bereits morgens um 9 Uhr gekommen. Da war es noch ruhig auf der Wiese und sie konnte den besten Platz aussuchen.
Und auch im Wasser war mehr Platz. Wichtig für Tochter Ida: Sie bereitet sich auf das Seepferdchen vor. 25 Meter schwimmen, nach einem Ring tauchen und die Baderegeln aufsagen – eigentlich kann sie alles. Jetzt muss nur noch die Angst vor der Prüfung überwunden werden.
Direkt nebenan hat Joanna Wittek ihr Handtuch aufgeschlagen. Ihre Kinder sind glücklich: Sohn Jakub (4) hat ein Flutschfinger-Eis bekommen, Tochter Liliana (6) eine bunte Tüte. Beide haben Taucherbrillen dabei. „Im Wasser ist es am schönsten“, strahlt Liliana. Mutter Joanna ist es aber eigentlich zu laut und zu eng. Die Wettbergenerin war zuletzt im Freibad Gehrden und wollte jetzt mal ein Bad in Hannover ausprobieren. „Zu voll, zu laut“, sagt sie.
Die Badbetreiber hingegen freuen sich über den Andrang. „In dieser Saison war unser Bad erst an sieben oder acht Tagen so voll“, sagt Schwimmmeister und Betriebsleiter Al Dahier. Der Juni war nahezu ein Totalausfall, das Wetter fast durchgehend durchwachsen. Die Bäder sind ohnehin ein Zuschussgeschäft für die Stadt – das Ricklinger Bad musste sie vor fünf Jahren vom Schwimmverein Aegir übernehmen, weil der damit überfordert war. Jetzt aber klingeln endlich mal die Kassen.
2500 Besucherinnen und Besucher seien es an diesem Sonnabend im Juli, schätzt er: „mindestens“. Wenn es so voll ist, dann patrouillieren zwei Security-Mitarbeiter durchs Bad und schauen nach dem Rechten. „Alles ruhig“, sagen die beiden. „Keine besonderen Vorkommnisse.“
Jeanette Rothenburger (38) und ihr Mann Rico (41) kühlen sich an diesem gut 30 Grad warmen Nachmittag mit Solero- und Nogger-Eis. Man sieht auf den ersten Blick, dass die beiden in wenigen Wochen zu dritt sein werden. „Mit erfrischendem Eis ist es auszuhalten“, sagt sie strahlend. Aus Bothfeld kommen die beiden. Aus Bothfeld? Aber da wäre doch das Lister Bad viel näher? „Da gefällt mir die Klientel nicht so“, sagt sie. „Hier ist es familiärer.“
Nahe am Nichtschwimmerbecken haben sich drei Familien eine Art kleines Handtuch-Dorf aufgebaut. Sechs Erwachsene und sieben Kinder genießen fröhlich die Freibad-Atmosphäre. Es sind drei Freunde, die sich länger nicht gesehen haben und sich mit ihren Familien zum Tag im Freibad verabredet haben. Und so kurios es manchmal ist: Die drei beschreiben exakt die aktuellen Probleme der anderen Freibäder in Hannover.
Granit Selmanaj (37) kommt aus Hainholz. Man hätte sich dort im Hainhölzer Bad treffen können. Aber das öffnet aus Personalmangel um 13 Uhr, „das wäre zu spät gewesen, wir haben uns zu viel zu erzählen.“ Arbnor Hisenaj (36) kommt aus Langenhagen, von ihm aus hätten die Freunde sich bequem im Lister Bad treffen können. Aber dann haben sie gelesen, dass es dort mittlerweile zwei Rohrbrüche gibt und deshalb zwei Becken nicht nutzbar sind. Und Elvir Ismaili (39) kommt aus Sarstedt, wo es zwar das Innerstebad gibt – aber das wäre für die anderen zu weit gewesen. „Deshalb Ricklingen“, sagt Hinsenaj fröhlich.
Musik klingt aus der mitgebrachten Bluetooth-Box. Die Kinder werfen den Ball oder gehen schwimmen. Die Eltern spielen Karten, eine Art Rommé, und plaudern. Wäre überall Freibad nach Ricklinger Stil, vielleicht wäre etwas mehr Frieden in der Welt. Wie sagte Nagelsmann? „Wenn ich dem Nachbarn helfe, die Hecke zu schneiden, ist er schneller fertig.“
Manchmal reicht es schon, wenn man dem Nachbarn sein Handtuch gönnt. Sogar ohne Hecke dazwischen.