Zwei tote Frauen binnen acht Tage, zwei Femizide. Statistisch gesehen ist in Deutschland zwischen den beiden Frauen noch eine weitere von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet worden, weitere fünf Frauen haben, statistisch gesehen, die körperlichen Angriffe überlebt. Jeden Tag versucht in Deutschland ein Mann, seine Frau oder Ex-Frau, seine Freundin oder Ex-Freundin umzubringen. An jedem dritten Tag gelingt ihm das auch. 2022 starben 133 Frauen durch ihre Partner oder ehemaligen Partner. 126-mal Mord und Totschlag, siebenmal Körperverletzung mit Todesfolge, so liest sich das in der Kriminalstatistik.
Oft passiert die Tat nicht plötzlich und unvermittelt. Viele Femizide geschehen an Frauen, die sich zuvor schon rechtlich gegen die Männer gewehrt haben. Sie haben Kontakt- und Näherungsverbote bei den Familiengerichten erwirkt, Vorfälle angezeigt, sich bei der Opferhilfe gemeldet.
„Viele Frauen machen alles richtig. Sie wenden sich in der Situation an den Staat und sagen: ‚Bitte schütze mich‘“, sagt Patrick Liesching, Bundesvorsitzender des Weißen Rings, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Auch dass Frauen Kontakt- und Näherungsverbote durchsetzten sei wichtig. Dennoch: „Letztlich wird es nicht überwacht. Wenn er sich doch nähert und ihr Böses will, dann lässt der Staat die Frauen im Stich. Und das kann nicht sein.“
Ein Problem ist die Kontrolle des Verbots, ein anderes die Bestrafung bei einem Verstoß. Das richterliche Schreiben, sich einer Person nicht nähern zu dürfen, schreckt einige Männer nämlich nicht ab. Wenn sie sich bewusst nicht an Gesetze halten, die Frauen vor körperlichen Angriffen schützen sollen, wieso sollten sie sich an ein Näherungsverbot halten? Und so kommt es trotz Anordnung immer wieder zu Angriffen oder gar Tötungsdelikten. „Wenn es keine Sanktionen und keine Überwachung gibt, dann reicht das als Instrument nicht aus. Im Moment muss der Täter nur befürchten, ein halbes Jahr später eine Geldstrafe dafür zu bekommen“, so Liesching.
Auch die Polizei gerät an Grenzen: Mehr als sogenannte Gefährderansprachen sind nicht möglich. Hier muss die Polizei an die Vernunft appellieren und dem betreffenden Mann vermitteln, dass er unter Beobachtung steht. In einigen Fällen hilft das, in anderen nicht. „Niemand hat eine Glaskugel“, sagt Liesching, „niemand kann genau vorhersehen, wie sich ein Fall entwickelt.“ Das Risiko, es bleibt.
171 076 Frauen erlebten laut Kriminalstatistik im Jahr 2022 in Deutschland häusliche Gewalt. Bei 126 349 davon waren die Partner oder Ex-Partner die Angreifer. Es passiert unabhängig von sozialer Schicht, Alter, Bildungsstand, Nationalität. Täter und Opfer finden sich in jedem Bereich. Jede dritte Frau wird im Laufe ihres Lebens wegen psychischer, physischer oder sexualisierter Gewalt bei offiziellen Stellen gegen einen Mann vorgehen.Wie alarmierend es um den Schutz von Frauen steht, offenbarte im vergangenen Jahr eine nicht unumstrittene Umfrage von Plan International. Befragt wurden in Deutschland lebende Männer zwischen 18 und 35 Jahren. 33 Prozent gaben an, es für akzeptabel zu halten, eine Frau im Streit zu schlagen. 34 Prozent sagten, sie seien Frauen gegenüber schon einmal handgreiflich geworden, um ihnen Respekt einzuflößen.
Seit Jahren fordern Opferverbände einen besseren Schutz für Frauen. Tenor: Wer gegenüber der Polizei Angst äußere, wer von seinem (Ex-)Partner bereits körperlich angegriffen oder bedroht wurde, der müsse auch tatsächlich geschützt werden. Näherungsverbote, Gefährderansprachen – all das halten die Organisationen für sinnvoll. Aber nicht für ausreichend.
Die Organisationen Terre des femmes und der Weiße Ring fordern deshalb, dass Männer, denen nach Gesprächen mit Behörden ein besonders hohes Gewaltrisiko zugeschrieben wird, überwacht werden – mit einer elektronischen Fußfessel, wie sie bisher etwa bei Sexualstraftätern oder Terrorverdächtigen angeordnet werden kann. „Es gibt andere Schutzkonzepte, aber die sind aus unserer Sicht nicht effektiv, weil sie den Standort des Bedrohers nicht kennen“, sagt Liesching. Der Weiße Ring schrieb deshalb erst vor wenigen Wochen einen Brandbrief an Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP).
Als Beispiel dient die Opferhilfe Spanien. Dort sind Fußfesseln seit mehreren Jahren bei auffällig gewordenen und als gefährlich eingestuften Männern im Einsatz. Da die Fußfessel alleine nicht unbedingt Erfolg verspricht, wurde in dem südeuropäischen Land ein Pilotprojekt gestartet. Nicht nur der potenzielle Angreifer wird elektronisch überwacht, sondern auch die bedrohte Frau.
Frauen, die freiwillig an dem Programm teilnehmen, tragen ein GPS-Armband. Meldet das GPS-Signal, dass das Näherungsverbot nicht eingehalten wird, geht bei der Polizei sofort ein Alarm los. In dieser Konstellation – wenn also Fußfessel und Armband aktiviert waren – gab es laut Weißem Ring seit Projektstart keinen einzigen Femizid in Spanien. „Wir versprechen uns von einer Einführung, dass wir die Zahlen deutlich reduzieren können“, sagt Liesching.
Widerstand gegen den Vorstoß kommt aus dem Bundesjustizministerium. Mehrfach, teilt das Amt dem RND mit, habe man den Vorschlag geprüft, zuletzt auf Wunsch der Landesjustizministerien. „Diese Prüfungen haben jeweils ergeben, dass die Schaffung einer EAÜ-Anordnung im Gewaltschutzgesetz nicht geeignet wäre, einen lückenlosen Opferschutz zu gewährleisten“, erklärt Sprecherin Marie-Christine Fuchs, wobei EAÜ im Gesetzesdeutsch für „elektronische Aufenthaltsüberwachung“ steht. Rechtlich bedeutet das: Zwar könnten potenzielle Täter eine Anordnung bekommen, die Fußfessel zu tragen, nicht aber die potenziellen Opfer. Und somit bleiben aus Sicht des Ministeriums zu große Lücken. Zumal es in Deutschland auch in Sachen Datenschutz Konflikte mit dem Spanien-Modell geben könnte.
„Es ist Kernaufgabe des Staates und Kernbestandteil des Polizeirechts, den präventiven Schutz seiner Bürger vor Gewalt zu gewährleisten. Es erscheint nicht sinnvoll, diese Kernaufgabe des Staates noch stärker in den Bereich des Zivilrechts und der privaten Rechtsdurchsetzung vor den Familiengerichten zu verlagern“, so Fuchs. Zudem spiele der zeitliche Faktor eine Rolle. Zwischen erstem Vorfall, Anhörung und dann Umsetzung liege zu viel Zeit.
Der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe – Frauen gegen Gewalt (BFF) hält die Fußfessel auch nicht für das Allheilmittel. „Man ist dann schnell versucht zu sagen, dass alles prima und das Problem gelöst ist, wenn wir eine technische Überwachung haben“, sagt Sprecherin Silvia Zenzen. So einfach sei das aber nicht. „Auch eine elektronische Überwachung kann nur ein Baustein sein, Frauen besser zu schützen. Denn wenn jemand seine Frau umbringen will, dann tut er das auch, wenn er eine Fußfessel hat.“
Dennoch meint auch der Verband, dass der Schutz von Frauen unbedingt verbessert werden muss. „Viele Frauen bleiben so lange in diesen Beziehungen, weil sie das Gefühl haben, dass ihnen niemand helfen kann. Wenn sich das dann in der Realität bewahrheitet, ist das fatal“, so Zenzen, „das hat ein Gefühl von Angst, Hilflosigkeit, Ausgeliefertsein zur Folge.“
Statt der elektronischen Fußfessel plädiert der BFF für mehr Geld und Ressourcen – sowohl in der Risikoanalyse als auch in der Täterarbeit. „Eigentlich müssten sich mehrere Institutionen wie Polizei und Frauenberatungsstellen zusammensetzen, um mit der Frau eine Risikoanalyse zu machen und zu schauen, wie hoch die Gefahr ist, dass das weiter eskaliert“, sagt sie. Ist das Risiko hoch, kann das auch bedeuten, dass die Betroffene umziehen und ein Leben im Anonymen führen muss.
Durch das föderale System obliegt es den Bundesländern, wie bei häuslicher Gewalt vorgegangen wird. Für Zenzen ist der Umgang mit potenziellen Tätern ein ausschlaggebender Punkt: „Täterarbeit müsste es verpflichtend geben. Das passiert in Deutschland bei Weitem nicht flächendeckend.“ In Arbeitskreisen könnten die Männer ihr Verhalten reflektieren und lernen, mit ihren Aggressionen umzugehen – ohne anderen zu schaden.Doch dort, wo es in Deutschland Täterarbeit gibt, ist man überwiegend auf die freiwillige Teilnahme angewiesen. Können gerichtlich auferlegte Therapien helfen? Nein, meint Liesching. „Beratungsangebote, die man mit Zwang durchsetzen muss, sind in der Regel wenig erfolgreich.“
Liesching und Zenzen sehen deshalb auch die Gesellschaft in der Pflicht. Der Hass auf Frauen kommt häufig durch ein falsches Rollenverständnis. Mit Schlägen, Drohungen oder im schlimmsten Fall dem Femizid versuchen Täter, ihre für richtig empfundene Hierarchie wiederherzustellen. Das fange bei psychischer Gewalt wie der Erniedrigung einer Frau in der Öffentlichkeit an und gehe weiter über kleinere Schubsereien bis hin zur körperlichen Eskalation.
Schon in der Kindheit müssten Mädchen und Jungen daher die Werte von Gleichberechtigung vermittelt werden. Das ist, womöglich, der einzige wirkliche Schutz für Frauen. Zenzen sagt: „Niemand will in einer Gesellschaft leben, in der Männer rumrennen und ihre Frauen oder Ex-Frauen umbringen, weil sie mit der Kränkung oder damit, dass Frauen eigene Entscheidungen treffen, nicht klarkommen.“