MHH macht Alzheimer-Patientenin der Region Hoffnung
Meilenstein in der Medizin? Ab Ende des Jahres setzt die Uniklinik das neue Medikament Leqembi ein.Die Arznei soll nicht nur Symptome lindern, sondern auch die Ursachen von Alzheimer angreifen können.

„Leqembi kann der Anfang von etwas ganz Neuem sein“: MHH-Professor Aiden Haghikia.Foto: Tim Schaarschmidt
Hannover. Hoffnung für Betroffene in Hannover: Ein neuartiges Alzheimer-Medikament wird ab Ende des Jahres auch an der Medizinischen Hochschule (MHH) eingesetzt. Leqembi gilt in der Alzheimer-Forschung als das erste Mittel weltweit, mit dem man nicht nur die Symptome der Erkrankung behandeln, sondern auch an den Ursachen ansetzen kann. Doch eine Infusion erhält noch lange nicht jede betroffene Person.

Leqembi ist seit September auch in Deutschland auf dem Markt und hatte zuvor bereits in den USA für viel Aufsehen gesorgt. Der Wirkstoff Lecanemab, ein synthetisch hergestellter Antikörper, greift die für Alzheimer typischen Eiweißablagerungen im Gehirn an und soll dadurch erstmals den geistigen Abbau verlangsamen können.

Nötige Voruntersuchungen und die Überwachung der Patienten sind sehr aufwendig. Deshalb kommen für die Therapie laut dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) vor allem spezialisierte Kliniken und spezialisierte Schwerpunktpraxen infrage. Das DZNE ist eine Forschungseinrichtung für Alzheimer-Demenz oder Parkinson mit Standorten unter anderem in Berlin und – als einzigem Standort in Niedersachsen – Göttingen. Die Berliner Charité und die Göttinger Universitätsmedizin gehörten bundesweit zu den ersten Kliniken, die bereits Anfang September Patienten behandelten.

Die MHH ist zurzeit die einzige Klinik in der Region, die diese Behandlung anbieten wird. „Wir wollten keinen Schnellschuss, sondern sicher sein, dass wir alle nötigen Schritte koordinieren können“, sagt der Direktor der MHH-Klinik für Neurologie mit Klinischer Neurophysiologie, Prof. Aiden Haghikia. Vor allem für die Zusammenstellung eines interdisziplinären Memory-Boards, eines Teams von
MHH-Experten aus Neurologie, Psychiatrie, Neuroradiologie und Nuklearmedizin, habe
man Zeit gebraucht. „Deshalb hat es etwas länger gedauert“, sagt Haghikia.

Haghikia hält Leqembi aus klinisch-versorgungsmedizinischer Sicht für einen Meilenstein. „Leqembi kann der Anfang von etwas ganz Neuem sein“, sagt er. Der Neurologe ist zwar überzeugt, dass es langfristig nicht ausreichen wird, die Ursache für Alzheimer nur im Gehirn zu suchen. „Man muss das ganze System betrachten, Ernährung, Bewegung, Lebensstil“, sagt er. Der Zustand der Patienten werde durch Leqembi zudem nicht verbessert oder stabilisiert. Aber die Verschlechterung werde verzögert. Leqembi werde aber vor allem dazu führen, „dass etwas ins Rollen kommt, das wir vorher so nicht im Blick hatten – und die Therapie langfristig deutlich verbessern“, hofft er. Ein Beispiel dafür sei die Multiple Sklerose: Der Fortschritt seit der Entdeckung des ersten wirksamen Medikaments vor 30 Jahren sei enorm.

Seit Leqembi auf dem Markt ist, steht in Haghikias Abteilung das Telefon nicht mehr still. Erkrankte und Angehörige machten sich große Hoffnungen, bäten um eine Behandlung. Zur Wahrheit über Leqembi gehört aber auch: Es hilft nur im Frühstadium von Alzheimer, bei leichten kognitiven Beeinträchtigungen.

„Die Patienten müssen ihren Alltag noch komplett selbstständig bewältigen können“, sagt Haghikia. Wortfindungsstörungen könnten erste Anzeichen sein. Oder den Erkrankten falle auf, dass sie sich kurzzeitig nicht orientieren könnten oder Entscheidungen verlangsamter treffen. „So etwas merken Betroffene als Erste“, sagt Haghikia: „Wenn das Umfeld das mitbekommt, könnte es sich schon um eine etablierte, demenzielle Erkrankung handeln. Dann wäre es für Leqembi zu spät.“

Zudem sei die Gruppe begrenzt, die von der Behandlung profitiere. Im Einzelfall könnten schwere Nebenwirkungen auftreten: Hirnschwellungen oder Mikroblutungen. Die Anzahl der Kriterien, die Patienten von einer Therapie ausschließe, sei deshalb hoch. „Das bedeutet, dass es sehr aufwendig ist, geeignete Patienten zu identifizieren“, sagt Haghikia.

Fünf bis zehn Patienten sollen in der Startphase an der MHH mit Leqembi behandelt werden. Ob die Demenz der Kandidaten noch im geeigneten Frühstadium sei, müssten zuvor neuropsychologische Tests ergeben. Dann werde mit einer Lumbalpunktion – der Entnahme von Hirn-Rückenmark-Flüssigkeit – geprüft, ob im Gehirn des Patienten jene Eiweißablagerungen nachweisbar sind, die der Wirkstoff Lecanemab abbaut.

Dann müssten weitere Ausschlusskriterien geklärt werden: Dazu gehörten unter anderem schwerwiegende Gefäßerkrankungen im Gehirn wie Durchblutungsstörungen oder bereits bestehende kleine Hirnblutungen. Manche Gerinnungshemmer seien nicht zulässig. Menschen mit zwei Kopien des sogenannten ApoE4-Gens seien ausgeschlossen, weil bei ihnen ein erhöhtes Risiko einer Hirnblutung bestehe.

„Erst nachdem die ganze Checkliste abgearbeitet ist, kann mit den Infusionen begonnen werden“, sagt Haghikia. Alle zwei Wochen werden sie gegeben. Die Behandlung werde mit MRT-Kontrollen streng überwacht. Jeder Einzelfall werde sorgfältig evaluiert – und bei Komplikationen abgebrochen. „Die MHH stellt sich interdisziplinär auf, um all das zu gewährleisten“, sagt Haghikia. Es kooperieren die Klinik für Neurologie, die Psychiatrie, die Neuroradiologie und die Nuklearmedizin.

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