Öffentlich zugänglich ist dieser Innenhof nicht, um den sich 44 Wohnungen gruppieren. Doch er leistet seinen Beitrag zum Stadtklima. „Wir brauchen Pflanzen, die uns helfen, die City abzukühlen“, erklärt der Fachmann und verweist auf die inzwischen hüfthoch wachsenden Hortensien, deren Blüten im Sommer acht Wochen lang Farbenpracht in blau, violett, weiß und rosa in den Hof gebracht haben.
Aber brauchen Hortensien nicht unglaublich viel Wasser? Viele Gärtner geben dieser Pflanzenart hierzulande kaum eine Chance in Zeiten des Klimawandels. Carl sieht das differenziert: „Das komplette Regenwasser der beiden Gebäude wird über Rinnen in sogenannten Retentionsboxen im Boden gesammelt, aus denen der Boden befeuchtet wird. Nur wenn wochenlang Regen ausbleibt, wird Wasser nachgespeist.“
Der Klimavorteil der Hortensien sei deren große Blattmasse: „Sie produzieren Verdunstungskälte im Sommer.“ Denn in der heißen Jahreszeit strahle die Sonne in den Mittagsstunden direkt in den Hof mit Südausrichtung.
In einigen Jahren dürfen sich die Anwohnenden dann aber über Schatten freuen: Das ausgeklügelte Vertikalgartensystem mit Weinranken und Pfeifenwinden hat in Höhe der obersten Geschosse auch Horizontalseile. An einigen Stellen hangeln sich die Pflanze schon zur gegenüberliegenden Seite, Triebe baumeln wie Vorhänge nach unten. „Ich bin begeistert davon, wie schnell alles wächst“, sagt Carl.
Das geht auch João Vicente so, der seit zwei Jahren zusammen mit einem Freund in einer der Erdgeschosswohnungen lebt. „Wir haben miterlebt, wie hier alles grün geworden ist. In diesem Sommer haben wir auch gemerkt, dass es sich durch die Pflanzen im Sommer kühler und frischer im Hof anfühlt.“ Wird der Innenbereich denn auch genutzt? „Noch nicht genug“, findet der 40-Jährige. „Wir sollten hier öfter zusammenkommen.“
Sitzgelegenheiten sind vorhanden: Elegant geschwungene Holzbänke stehen im Mittelgang, für Kinder gibt es zwei kleine Trampolinflächen und eine Klettergelegenheit. Vormittags liegt Stille über dem etwa 400 Quadratmeter großen Areal, das als Anlage für „exklusives Wohnen“ vermarktet wird. Gundlach hatte das Gelände gekauft, 2023 war der Neubau fertig – inklusive Tiefgarage mit Autoaufzug über zwei Ebenen. Eine 86-Quadratmeter-Dachgeschosswohnung steht zum Beispiel für 699.000 Euro über einen Makler zum Verkauf. 19 Einheiten sind aber auch im Gundlach-Mietbestand – zum Teil sind es Microapartments, es gibt aber auch WG-Wohnungen mit bis zu vier gleich großen Zimmern und gemeinschaftlichem Ess- und Wohnbereich. Die Quadratmeterpreise reichen von 13 bis 16 Euro.
Gundlach wollte damit das Viertel aufwerten. „Der Bereich zwischen Striehl- und Nikoaistraße war als Schmuddelecke verschrien“, sagt Corinna Stubbendorff. Die Ökologiebeauftragte betreute das Nachverdichtungsprojekt für Gundlach, für das es den zweiten Platz im bundesweiten Städtebau-Wettbewerb um den „Polis Award“ gab.
„Die Anlage ist ein großartiges Beispiel dafür, wie Architektur und Landschaftsarchitektur mit dem Thema Hitze in der Stadt umgehen“, sagt Robert Marlow, Präsident der Architektenkammer Niedersachsen, als zum Tag der Architektur im Juni Führungen durch „Mittengrün“ angeboten wurden. Denn Landschaftsarchitekt Peter Carl musste für seine grüne Vision viele Einschränkungen hinnehmen. Direkt unter dem Hof befindet sich die zweite Ebene der Tiefgarage. „Wir konnten also nur 40 Zentimeter Bodenschicht auftragen. Für Bäume reicht das nicht. Sie können sich nicht verankern, das wird bei Windböen gefährlich.“ Seine Idee des Vertikalgartens ist ein inklusives Konzept: „Auch die Menschen in den oberen Geschossen sollen die Pflanzen erleben.“
Außerdem sieht er die Rankpflanzen als „Pufferzone“ im engen Innenhof, die Privatsphäre möglich macht. „Man sitzt auf den Balkonen dicht aneinander.“ Gesellschaft bekommen die Anwohnenden auf jeden Fall: „Vögel lieben den wilden Wein“, erzählt der Landschaftsarchitekt. „Und im Sommer brummen in den Ranken die Bienen.“
Rückzugsorte für Insekten, Bienen und Fledermäuse – „sie gehören zur Klimastrategie“, erklärt Gundlachs Ökologiebeauftragte Stubbendorff. Ebenso die Gründächer und befeuchteten Mooswände im Hof, die man von den Rückseiten der drei Erdgeschoss-Restaurants an der Nikolaistraße sieht.
Wer in „Hamachi“ (französisch-asiatische Fusionsküche), „Kailua“ (Frühstück) und demnächst im „Tap“ (spanische Tapas) speist, blickt auf Natursteine. Hier sollen sich in den nächsten Jahren Algen, Moos, gelber Märchensporn, Mauerrauten und andere genügsame Schattengewächse hochranken.