Der Tisch ist gedeckt, Kaffee steht bereit, Fulgenci Mestres sitzt vor seinem Zirkuswagen und isst ein Stück Kuchen – genüsslich. Er hat noch Zeit, bis er sich in den verwandelt, den das Zirkuspublikum kennt und liebt: den großen Weißclown Gensi, der mit seiner liebevoll poetischen Art die Leute staunen und träumen lässt.
Er ist der dienstälteste Clown bei Roncalli. Hier in Hannover wird er seinen 60. Geburtstag, sein 40-jähriges Berufsjubiläum und 20 Jahre bei Roncalli feiern. Die Zirkusfamilie ist eingeladen, Freunde und Verwandte werden anreisen.Noch es ist ein paar Tage hin bis zum Fest. In zwei Stunden beginnt die heutige Nachmittagsvorstellung. Ohne seine Schminke ist der zierliche Mann fast nicht zu erkennen. Nur wenn er spricht und sein katalanischer Akzent erklingt, dann hört man den Gensi aus der Manege: „Der Zirkuswelt steckt voller Überraschungen“, sagt er und blinzelt freundlich mit den Augen.
Gensi hat einst Theaterwissenschaften studiert, war Musicaldarsteller, Schauspieler, spielt 15 Instrumente – ein Multitalent. Und trotzdem: Lampenfieber hat er bis heute. „Man weiß doch nie, was passiert, es gibt keine Routine.“
Täglich, erzählt der Clown, führt er Tagebuch, seit 25 Jahren. Er genießt sein Leben im Zirkuswagen, mit seinem Mann auf der Reise durch die Welt. Morgens, 6.30 Uhr, stehe er auf, trinke Kaffee, gehe einkaufen, mache Spaziergänge, gehe auch mal ins Museum. Vom Landesmuseum schwärmt er besonders.
Noel Aguilar, der Jongleur, schaut bei Gensi vorbei. Die beiden kommen sofort ins Gespräch – ihr Spanisch fliegt nur so hin und her, sie genießen es, sich in ihrer Muttersprache auszutauschen: Aguilar stammt aus einer mexikanischen Zirkusfamilie, auch sein Vater war Jongleur. Er sei Langschläfer, erzählt Aguilar: Er könne erst nach der Abendvorstellung gegen 23 Uhr essen, dann könne er aber nicht gleich einschlafen, gehe erst so gegen zwei oder drei Uhr ins Bett.
Morgens nach dem Aufstehen lese er erst mal Nachrichten aus aller Welt, dann stretcht er sich. „Früher habe ich das nicht gebraucht, aber in meinem Alter jetzt ist es unverzichtbar“, sagt der 30-Jährige.
Dann kontrolliert er genau die Jonglage-Requisiten: „Schon ein feiner Riss im Inneren einer Keule verändert die Flugbahn.“ Anschließend stehe wieder ein Stretchprogramm an. Ein bis zwei Stunden übe er dazu täglich sein Programm. Was er so fernab der Heimat am meisten vermisst? „Das mexikanische Essen“, sagt er spontan.
„Mein Zuhause ist da, wo wir gerade stehen”, sagt Justin Philadelphia. Der 18-Jährige, der mit seiner Artistik an der „Flying Pole“ spontan im Hannover-Programm eingesprungen ist, ist ein Zirkuskind der neunten Generation, zudem ein echtes Roncalli-Kind. Sein Vater Patrick Philadelphia ist Roncalli-Geschäftsführer. „Ich wollte schon als Kind Artist werden, ich liebe dieses Leben und das Reisen!“ Als Kind sei er zumeist online unterrichtet worden, erzählt Justin. „Manchmal war ich das einzige Kind auf dem Platz, ich musste mich viel mit mir selbst beschäftigen.“ Nur in Hannover sei das anders gewesen. Warum? „Hier ist der Kinderzirkus Giovanni“, sagt er.Der Kinderzirkus hat eine besondere Beziehung zu Roncalli, Bernhard Paul hat ihn einst als „Zirkus-Patenkind“ adoptiert, die Giovanni-Kinder genießen besondere Rechte, dürfen sogar im großen Zelt eine eigene Show geben. „In Hannover habe ich immer mit den Giovanni-Kindern gespielt, bis heute bin ich mit einigen befreundet“, sagt Philadelphia.
Inzwischen ist Mittag vorbei, die 15-Uhr-Show beginnt. Justin Philadelphia flitzt in den Garderobenwagen und zieht sich um. Gensi braucht noch etwas, bis er fertig ist. Allein sein Gesicht zu schminken, dauert eine Stunde. Sorgsam zieht er mit einem Pinsel die Lippen nach. Sein Kollege, Clown Matute, ist schon in der Manege und beobachtet genau die einströmenden Leute. Das ist wichtig, denn der Clown interagiert bei seinen Auftritten viel mit dem Publikum. „Ich schaue mir die Körpersprache an, wie sie sitzen, sprechen, schauen“, sagt er: „Es hängt viel davon ab, dass ich die richtigen Menschen auffordere“, sagt er und blinzelt verschmitzt.
Von der Liebe der Hannoveraner zur Kleinkunst ist der Chilene begeistert: Er war schon beim „Kleinen Fest“ und im GOP, auch Peter Shub will er besuchen, den bekannten Clown aus Hannover. „Ich kenne ihn, seit ich Kind war.“
Aus dem Zelt erklingt der erste Applaus. Auch Gensi ist inzwischen in der Manege. Zeltmeister Michele Rossi dagegen steht in seiner Wagen-Werkstatt, eine Jalousie muss repariert werden. Auch er ist im Zirkus aufgewachsen, war zunächst Jongleur: „Doch mein Interesse ist eher die Technik.“
Bei Roncalli hat er unter den Artistinnen seine große Liebe kennengelernt, sie haben zwei Kinder. „Jetzt muss ich los, sie von der Schule abholen“, sagt er. Ja, die nächste Roncalli-Generation steht schon in den Startlöchern.