Ausnahmsweise herrscht in diesem Fall Einigkeit zwischen Industrie und Politik. Das sogenannte bidirektionale Laden soll kommen – und zwar zügig. Die Bundesregierung hat es in ihrem Koalitionsvertrag verankert. Niedersachsens Ministerpräsident Olaf Lies (SPD) ist Fan. Und auch die hiesigen Autobauer setzen vermehrt auf die Technik. Aber wie genau funktioniert das eigentlich?
In der Region Hannover hat jetzt das Mainzer Unternehmen Ambibox GmbH einen ersten Test an einem Einfamilienhaus in Langenhagen-Godshorn gestartet. Dort wohnt Diana Warnecke zusammen mit ihrer Familie und zwei Hunden. Warnecke ist Strategieberaterin für Digitalisierung und arbeitet mit dem Unternehmen eng zusammen.
In Godshorn läuft der Kreislauf bereits. Auf dem Grundstück befindet sich eine Solaranlage. Sie erzeugt Strom, wenn die Sonne scheint. Der Strom fließt in eineWallbox – eine Ladestation fürs Elektroauto –, die außen an der Hauswand hängt. Von dort geht er ins E-Auto. Dessen Batterie speichert die Energie.
Der Stromfluss kann sich aber auch umdrehen. Das Auto gibt Energie ab – zurück an das Haus. Die Waschmaschine läuft. Das Licht brennt. Das Essen wird auf dem Elektroherd warm. Gesteuert wird alles automatisch. Eine kleine Steuereinheit im Haus verteilt den Strom genau dahin, wo er gebraucht wird.
Das Auto kann auch Strom ins öffentliche Netz einspeisen. Das ist besonders dann hilfreich, wenn gerade viele Menschen viel Strom brauchen – zum Beispiel am frühen Abend. Hausbesitzer könnten auf diese Weise sogar Geld verdienen. Die Vorteile liegen auf der Hand. Die Batterien von E-Autos sind groß, sehr groß. Sie können ein Vielfaches mehr speichern als herkömmliche Hausspeicher. Ein ID Buzz hat in einer Standardausführung etwa 76 Kilowattstunden Kapazität. Geht man davon aus, dass eine Familie zehn Kilowattstunden pro Tag verbraucht, lässt sich ein Haushalt etwa eine Woche lang versorgen.
Und: Die Fahrzeuge stehen die meiste Zeit nur herum. Tagsüber auf dem Parkplatz. Nachts in der Einfahrt. Sie könnten also längst mithelfen, das Stromnetz zu stabilisieren – und Kosten beim Ausbau zu sparen. 100 Milliarden Euro ließen sich in Europa zwischen 2030 und 2040 mit bidirektionalem Laden einsparen, das hat das Fraunhofer-Institut in einer Studie berechnet.
In der Theorie klingt das alles gut. In der Praxis ist es in Deutschland bislang die Ausnahme. Nur wenige Haushalte haben eine Wallbox, die Strom nicht nur laden, sondern auch abgeben kann. Noch weniger dürfen den Strom ins Netz einspeisen. Warum?
Diana Warnecke hat mit diesen Fragen täglich zu tun. In ihrer Einfahrt steht ein E-Auto des schwedisch-chinesischen Autobauers Polestar. Über eine App kann sie sehen, wie viel Strom gerade erzeugt, gespeichert oder verbraucht wird. „In vielen Ländern ist das längst Alltag“, sagt Warnecke. Italien, die Niederlande, Schweden – überall sei man weiter als in Deutschland.
Der Grund ist technischer Natur. In Deutschland fehlt eine wichtige Voraussetzung: der sogenannte Smart-Meter-Gateway. Das ist ein digitaler Stromzähler. Er misst genau, wie viel Strom ein Haus ins Netz einspeist – und wie viel es verbraucht. In vielen Ländern wurde diese Technik bereits eingebaut, oft auf Kosten der Energieversorger. In Deutschland hinkt der Ausbau hinterher, der hannoversche Versorger Enercity hat gerade angekündigt, bis 2035 rund 24.000 alte Stromzähler gegen die neue Technik auszutauschen. In gerade mal 2 Prozent der deutschen Privathaushalte ist laut Warnecke diese Technik bereits eingebaut.
Ohne dieses Gerät darf kein Strom ins öffentliche Netz zurückfließen. Zu groß ist das Risiko, dass das Netz überlastet wird. Deshalb ist das sogenannte Vehicle to Grid („Vom Fahrzeug zum Netz“) hierzulande noch kaum möglich. Anders sieht es beim „Vehicle to Home“ aus, also dem Zusammenspiel zwischen Haus und Auto. Das funktioniert. Der selbst erzeugte Strom wird gespeichert und im Haushalt verbraucht.
Für Warnecke ist das nicht nur ein Beitrag zum Klimaschutz. Es ist auch ein Stück Unabhängigkeit. „Bei einem Stromausfall könnte ich mein Haus tagelang selbst versorgen“, sagt sie. In Skandinavien sei das Teil der Kriegsvorsorge. Auch bei Naturkatastrophen wie im Ahrtal könne bidirektionales Laden helfen.
Ambibox gehört zu den wenigen Herstellern in Europa, die bereits zertifizierte Wallboxen für bidirektionales Laden anbieten. Andere Anbieter sind etwa die Leopold Kostal GmbH & Co. KG aus Lüdenscheid. Aktuell kosten die Boxen der Mainzer noch zwischen 3000 und 3500 Euro. Doch das soll sich ändern. „Wir wollen auf 1500 Euro runter“, sagt Ambibox-Geschäftsführer Kai Fieber. Möglich machen soll das eine Serienproduktion. Im kommenden Jahr will Ambibox rund 10.000 Geräte auf den Markt bringen.
Alle Wallboxen von Ambibox enthalten ein sogenanntes HEMS – ein Home-Energy-Management-System. Es steuert den Strom im Haus. Es entscheidet, ob der Strom in das Auto, das Haus oder ins Netz geht. Nutzerinnen und Nutzer können Prioritäten festlegen. Wer morgens früh losfahren muss, kann bestimmen, dass das Auto mindestens zu 50 Prozent geladen bleibt. Die Bedienung läuft über eine App. Dort sieht man in Echtzeit, wie viel Strom gerade fließt – und wohin.
Doch selbst mit der besten Technik bleiben Fragen offen. Zum Beispiel: Wie wird der eingespeiste Strom vergütet? Gibt es flexible Tarife? In Deutschland sind die meisten Strompreise pauschal. Wer zu viel Strom hat, kann ihn nicht gewinnbringend verkaufen, weil er die höheren Preise auf dem Strommarkt nicht mitnehmen kann, sondern nur einen pauschalen Betrag erhält.
„Wir brauchen dynamische und flexible Tarife“, sagt Warnecke. Nur so lohne es sich, den Strom intelligent zu speichern und weiterzugeben. Dann wird aus dem E-Auto ein aktiver Teil der Energiewende – statt nur ein Verkehrsmittel.
Auch die Autohersteller müssen noch mitziehen. Zwar sind viele Modelle technisch schon bereit. Volkswagen, Hyundai oder Volvo bieten Fahrzeuge, die bidirektional laden können. Andere Hersteller sind bislang zurückhaltend. Wer den Strom aus dem Akku ins Haus leitet, verliertwomöglich die Garantie für die Batterie in seinem Auto.
Dabei zeigen erste Studien, dass die Batterien kaum darunter leiden. „Die Technik ist state of the art“, sagt Warnecke. Für viele Menschen ist das Auto ein Symbol für Freiheit. Für Warnecke ist es inzwischen Teil ihres Hauses. Es hilft, Strom zu speichern. Es hilft, Geld zu sparen. Und es hilft, besser durch Krisen zu kommen. „Das ist keine Batterie mit Rädern“, sagt sie. „Das ist eine Powerbank im Fahrmodus.“ Und vielleicht ist das Auto der Zukunft nicht nur zum Fahren da. Sondern auch zur Stromversorgung.
Ein Modell für die Zukunft: Elektroautos sollen nicht nur fahren, sondern auch Energie ins öffentliche Netz zurückgeben. Ein Unternehmen aus Mainz testet das jetzt in der Region Hannover.