Die Ethikkommission unter der Leitung des ehemaligen Bundesinnenministers Thomas de Maizière hat Beteiligte angehört, Protokolle ausgewertet und versucht, Widersprüche aufzulösen. Nicht immer ist ihr das nach eigenen Angaben gelungen, unterm Strich kommt sie aber zu einem klaren Ergebnis: „Alle Beteiligten sind sich darüber im Klaren, dass das gesamte Vergabeverfahren für die Unterstützung der Ausrichtung der World Games im Jahr 2029 misslich verlaufen ist“, heißt es in dem sechsseitigen Bericht, der dieser Zeitung vorliegt. Anhaltspunkte für Bestechung oder Bestechlichkeit oder Begünstigungen habe es nicht gegeben. „Dennoch gehört zu einem ordnungsgemäßen Verfahren ein faires und korrektes Vorgehen. Davon kann hier nicht die Rede sein“, heißt es in dem Papier.
Der Bericht listet auf, wie der Bewerbungsprozess gelaufen ist. Demnach war zuerst München gefragt worden, ob es die World Games ausrichten wolle. Doch die bayerische Landeshauptstadt lehnte ab, sodass sich der DOSB entschloss, bundesweit Großstädte unter die Lupe zu nehmen, die die Spiele ausrichten könnten. Hierbei waren allerdings weder Karlsruhe und Baden-Württemberg noch Hannover und Niedersachsen im Gespräch. Vielmehr dachte der DOSB an Hamburg, Köln oder Leipzig.Der baden-württembergische Sportbund verhandelte laut dem Bericht der Kommission zunächst direkt mit der International World Game Association (IWGA). Im Herbst 2023 soll es dazu verschiedene Gespräche gegeben haben. Der DOSB erfuhr davon erst im Nachgang und auch nur lückenhaft. Gegenüber der Ethikkommission sagten Beteiligte aus, sie hätten eine „Verhinderungsstrategie aus dem DOSB-Hauptamt“ wahrgenommen und deshalb direkt den Kontakt zur IWGA gesucht. DOSB-Vertreter widersprachen dieser Auffassung.
Niedersachsen hatte sich hingegen im September 2023 für die Ausrichtung von Wettbewerben für die Olympischen Spiele im Rahmen einer deutschen Bewerbung ins Spiel gebracht. Dem erteilte der DOSB Anfang November 2023 – mehr oder weniger – eine Absage. Der Sportbund verwies darauf, dass man sich bereits seit dem Sommer in intensivem Dialog mit fünf geeigneten Städten und Regionen befinde. Der DOSB werde auf das Angebot zurückkommen, wenn sich „etwaige Bedarfe ergeben“.
Laut dem Bericht der Kommission brachte ein DOSB-Vertreter in den Wochen danach jedoch gegenüber dem Landessportbund Niedersachsen die Möglichkeit der Ausrichtung der World Games in Niedersachsen ins Spiel. Vielleicht auch als Trostpflaster, weil das Bundesland bei einer Olympiabewerbung wohl nicht berücksichtigt würde.
Karlsruhe hatte zu diesem Zeitpunkt aber schon einen großen Vorsprung. So trafen sich laut Bericht bereits Anfang Januar 2024 Vertreter der IWGA direkt mit Vertretern der Stadt Karlsruhe und signalisierten bereits eine grundsätzliche Unterstützung der Bewerbung – weil sie möglicherweise gar nicht wussten, dass es weitere Bewerbungen aus Deutschland geben könnte. Und Hannover? Hier gehen die Aussagen laut Bericht auseinander: Einige Beteiligte sagten, man habe es versäumt, Hannover mitzuteilen, dass es einen Mitbewerber gebe. Andere sagten aus, Hannover habe im Februar das klare Signal bekommen, dass die Vergabe für 2029 „durch sei“. Und dann gab es noch Berichte, dass Karlsruhe kein Finanzkonzept für seine Bewerbung habe, was die Bewerbung grundsätzlich infrage stellen könnte.
Der DOSB lud beide Städte ein, ihre Bewerbung zu präsentieren. Karlsruhe verpasste die Frist, durfte sich aber dennoch Anfang April ebenso wie Hannover in einer DOSB-Präsidiumssitzung vorstellen. Dann aber fiel ziemlich schnell die Entscheidung für Karlsruhe. Möglicherweise auch, weil die IWGA sich zu diesem Zeitpunkt verwundert zeigte, dass mit Hannover eine weitere deutsche Bewerberstadt dazugekommen sei. Man habe intern und an andere Partner schließlich schon das Interesse Karlsruhes kommuniziert. Aber man werde sich dem Beschluss des DOSB anschließen. Und der DOSB? Entschied sich daraufhin für Karlsruhe.
Für die Ethikkommission ist also bei dieser Vergabe einiges schiefgegangen. Eine Annullierung der Vergabe fordert das Gremium nicht. Durch die verkorkste Vergabe sei aber „ein erheblicher atmosphärischer Schaden“ entstanden. „Der DOSB sollte sich bei der Stadt/Region Hannover und beim Land Niedersachsen sowie dem Landessportbund Niedersachsen für dieses Verfahren entschuldigen“, forderte die Kommission. Zudem müsse für die Zukunft sichergestellt werden, „dass zwischen Präsidium und Vorstand und erst recht innerhalb des Präsidiums und des Vorstandes Abstimmungsprobleme vermieden und gegebenenfalls abgestellt werden“.
DOSB-Sprecherin Eva Wertmann versichert, dass der Sportbund die Ergebnisse des Berichts „sehr ernst“ nehme. Es sei „unstrittig, dass das Verfahren insgesamt misslich und unprofessionell verlaufen ist“. Der DOSB sei der Empfehlung bereits gefolgt und habe die Verantwortlichen in Hannover um Entschuldigung gebeten. Personelle Konsequenzen wird es aber wohl nicht geben. Wertmann verweist darauf, dass bereits im Juni ein Präsidiumsmitglied mit sofortiger Wirkung zurückgetreten sei. Gemeint ist der damalige DOSB-Vizepräsident Oliver Stegemann, der offenbar eng in den verkorksten Bewerbungsprozess eingebunden war.