„Sie waren so ausgezehrt, dass es gefährlich war, ihnen feste Nahrung zu geben, weil sie diese nicht verdauen konnten“, erinnerte sich der spätere US-Außenminister Henry Kissinger im Rückblick. Der jüdische Emigrant aus Franken war als Sergeant der 84. Division nach Deutschland zurückgekehrt und an der Befreiung Ahlems beteiligt. Für den im vergangenen Jahr verstorbenen Staatsmann war dies ein prägendes Erlebnis. Auch seine Kameraden waren erschüttert: „Was ich in diesem Lager sah, war das Schrecklichste, was ich je in meinem Leben erlebt habe“, berichtete der Soldat Vernon Tott später.
Tott griff damals zur Kamera, um das Grauen festzuhalten. Die Amerikaner drehten sogar eine Filmdokumentation über das KZ Ahlem. Die historischen Aufnahmen zeigen die Beerdigung von Leichen, den Stacheldraht, die Baracken – und die notdürftige Versorgung der geschundenen Häftlinge. „Die Männer brachen in Tränen aus, als sie heiße Suppe bekamen“, heißt es in dem Film.
„Das KZ Ahlem war die Hölle auf Erden“, sagt Dietmar Geyer. Der 77-Jährige hat die Website ns-zeit-hannover.de kreiert, die insbesondere Jugendliche über die Nazi-Zeit in Hannover aufklären will. Dort hat er bereits Dokumentationen über die Hitler-Jugend und über oppositionelle Swing-Kids in Hannover vorgestellt.Auch zur Machtübernahme der Nazis in der Stadt und zur Pogromnacht vom 9. November 1938 hat der frühere Marketingberater historisch fundierte Kurzfilme produziert. Er erzählt in diesen Videos das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte konsequent aus hannoverscher Perspektive – ohne moralisierende Ermahnungen, doch mit einer konsequent demokratischen Haltung.
„Für Schüler von heute ist diese Epoche so weit weg wie der Dreißigjährige Krieg“, sagt Geyer. „Plastisch wird die Geschichte für sie erst, wenn sie erfahren, was vor der eigenen Haustür passiert ist.“ Er hat seine Lebensaufgabe darin gefunden, Jugendliche gegen Antisemitismus und Hass zu immunisieren.
Jetzt hat der engagierte Filmemacher auf seinem Portal einen etwa zehnminütigen Film über das Konzentrationslager Ahlem veröffentlicht. Herzstück der Dokumentation sind die historischen Aufnahmen des 168th Signal Photo Corps der Amerikaner, die Geyer damit einer breiten Öffentlichkeit zugänglich macht.
„In Ahlem sollten die Häftlinge unter anderem für den Rüstungsbetrieb Continental bombensichere unterirdische Produktionsstätten schaffen“, sagt Geyer. Unter unmenschlichen Bedingungen mussten die Inhaftierten in den alten Asphaltstollen schuften. Zu essen bekamen sie nur Hungerrationen.
Mehr als 1000 Menschen waren im KZ Ahlem vom November 1944 an zusammengepfercht worden. Der Waschraum diente auch als Hinrichtungsstätte. Etwa 20 Häftlinge wurden hier gehängt. Mindestens 300 Menschen starben in dem Lager, vermutlich jedoch weit mehr. Mit beklemmenden Bildern vermittelt die Filmdokumentation etwas von dem Grauen, dem die Häftlinge ausgesetzt waren. Mehrere von ihnen mussten sich in dreistöckigen Holzbetten jeweils eine Pritsche teilen.
Insgesamt gab es in Hannover sieben Konzentrationslager. Am 19. Juli 1943 war hier das erste eröffnet worden: Im Stöckener KZ der späteren Varta mussten Häftlinge Batterien für U-Boote herstellen. Später kamen Konzentrationslager in Limmer und Misburg, das Conti-Lager in Stöcken sowie die KZs in Langenhagen, Ahlem und Mühlenberg dazu. Im Februar 1945 befanden sich etwa 6000 Häftlinge in hannoverschen Konzentrationslagern, doch insgesamt lag die Zahl der Inhaftierten deutlich höher: Tote wurden regelmäßig durch „Neuzugänge“ ersetzt.
Als die Alliierten näher rückten, wurden zahlreiche Häftlinge aus hannoverschen Lagern auf „Todesmärschen“ nach Bergen-Belsen getrieben. Auch aus dem KZ Limmer mussten mehr als 900 Frauen am 6. April 1945 bei Regen und Kälte in Holzschuhen dorthin marschieren. In Bergen-Belsen grassierten Seuchen, denen viele der vom langen Marsch erschöpften Gefangenen zum Teil noch nach der Befreiung zum Opfer fielen.
Erst 1994 wurde in Ahlem ein Mahnmal am ehemaligen KZ-Gelände geschaffen. Seit November 2022 gibt es dort auch einen mit Informationstafeln gestalteten Rundweg über das Areal. Seine Filmdokumentation solle helfen, gerade die jüngere Generation vor den Gefahren des Totalitarismus zu warnen, sagt Dietmar Geyer: „Angesichts der wachsenden Zustimmung für Parteien, die in Teilen als rechtsextrem eingestuft werden, ist es besonders wichtig, an die Verbrechen der Diktatur zu erinnern.
ns-zeit-hannover.de