Tim von Kietzell war ernüchtert. Er hatte als Schauspieler an Staatstheatern und auch an der Landesbühne gearbeitet. Er fand die Strukturen zu verkrustet, die Barrieren zu hoch und die Hierarchien zu streng. Er wollte Theater wieder zu einem Erlebnis machen, gemäß seinem Credo, dass „ein Theater in die Gesellschaft gehört wie ein Bäcker“ – und gründete das Theater Erlebnis, das heutige Quartier-Theater in der Nordstadt. 25 Jahre ist das nun her, beinahe sein halbes Leben. Nun feiern er und sein Team Jubiläum und stecken noch immer voller Ideen.
„Früher hieß es immer: ,Tim von Kietzell, der junge Heißsporn, der will alles verändern‘“, sagt er. „Das stimmte damals schon nicht, aber wir wollten neue Wege gehen.“ Drei Gleichgesinnte, darunter sein ehemaliger Deutschlehrer, der Theaterpädagoge Harrie Müller-Rothgenger, ließen sich 1999 als Mitgründer auf das Experiment ein. Das Personal änderte sich. Von Kietzell blieb. Er ist die große Konstante eines freien Theaters, das sich von Beginn an durch Wandel auszeichnete.
In den Anfangsjahren war das Alleinstellungsmerkmal, dass die Gruppe neue Räume erschloss. Gespielt wurde unter anderem im Zoo oder auch im ehemaligen Penny-Markt in der Schaufelder Straße, der durch die Plünderungen bei den Chaostagen 1995 traurige Berühmtheit erlangt hatte, aber auch in der Glocksee und in der Faust. 2008 ließ man sich mit dem Kollegen Willi Schlüter in der Spichernstraße nieder. Das Theater in der List entstand.
Die Zusammenarbeit aber zerbrach 2013. Tim von Kietzell dachte kurz daran aufzugeben. Dann entdeckte er in der Nordstadt eine ehemalige Weinhandlung und baute sie zur Studiobühne um. Seit 2017 gehört Inka Grund mit zum Leitungsteam, seit 2018 Julia Gentilli. Ein neuer Name wurde gesucht und gefunden: Quartier-Theater. Weil der Raum ein Quartier für Kreative sein soll und ein Theater fürs Quartier, die Nordstadt. „Wir können viel flexibler auf gesellschaftliche Entwicklungen reagieren als ein Staatstheater“, sagt Grund. „Uns bewegen Themen.“
Umsetzungen literarischer Stoffe wie Edgar Allan Poes „Das Fass Amontillado“ und Antoine de Saint-Exupérys „Der kleine Prinz“ gehörten und gehören ebenso zum Spielplan wie zuletzt die biografisch geprägte Stückentwicklung „Portrait eines Verbrechens“. In der Corona-Zeit experimentierte man mit Interventionen im Stadtraum wie dem Audioformat „Bankgeheimnisse“ in der Nordstadt und kooperierte mit Theaterschaffenden in Malawi. 75 Produktionen werden es Ende 2024 gewesen sein, im Schnitt drei pro Jahr. Dazu kommen Gastspiele und Formate wie „Einfach tanzen!“, wo das Quartier-Theater zur Disco wird.„Kann Theater die Welt verändern? Wenn, nur im Kleinen“, sagt von Kietzell. „Theater darf auch manchmal einfach nur Theater sein. Aber ich weiß auch, dass sich Kultur nicht verstecken muss, im Gegenteil.“ Insbesondere im Sommer, wenn zum Teil draußen geprobt wird, komme man ins Gespräch mit den Nordstädtern.
Die Corona-Zeit nutzte die Gruppe nicht nur für Experimente, sondern auch für einen Umbau der Studiobühne. „Wir wollten Raum, Geist und Seele öffnen“, sagt von Kietzell. Wände wurden herausgerissen, Tageslicht wurde zugelassen, eine Rampe gebaut. Taghell, barrierefrei und offen ist dieser Raum, offen für neue Erlebnisse – im Quartier.Das Jubiläum des Theaters in der Kornstraße 31 wird am 24. Februar gefeiert: ab 17.30 Uhr mit einer lockeren Zusammenkunft „zum Erinnern, Klönen und Lachen“, ab 20 Uhr mit „Einfach tanzen!“.