Zwischen
den Jahren
Eine stille Zeit , die uns wieder bei uns selbst ankommen lässt

Die Tage nach Weihnachten haben einen besonderen Klang. Sie sind nicht mehr ganz Festzeit, aber auch noch nicht der Neubeginn, den der Kalender verspricht. Viele Menschen hängen irgendwo zwischen Völlerei-Koma, mentaler Müdigkeit und dem unterschwelligen Gefühl, im alten Jahr noch irgendetwas „leisten“ zu müssen. Gleichzeitig bleibt ein stiller Wunsch nach Ruhe, Rückzug und Erholung. Genau dieser Zwiespalt macht die Zeit „zwischen den Jahren“ so einzigartig – und so wertvoll.

Wenn die Tage kurz sind und der Körper noch mit der Verdauung der üppigen Festmähler beschäftigt ist, meldet sich oft der Wunsch nach Balance. Jetzt lohnt es sich, Erwartungen herunterzufahren und nicht gleich alles optimieren zu wollen. Statt guter Vorsätze im Akkord kann ein kleiner Fokus helfen: eine Gewohnheit, die gut tut; ein Gedanke, der trägt; ein Moment, der bewusst wahrgenommen wird. Selbstfürsorge muss nicht in Spa-Programmen bestehen – manchmal reicht es, einfach langsamer zu werden. Ein Spaziergang ohne Ziel. Eine Tasse Tee mit Blick aus dem Fenster. Ein Morgen, an dem man weder funktionieren noch performen muss.

Besonders hilfreich sind Routinen, die den Körper in dieser Zwischenzeit sanft unterstützen. Frische Luft und Tageslicht stehen dabei ganz oben. Die Sonne zeigt sich zwar spärlich, doch jeder Strahl zählt: Er unterstützt die Vitamin-D-Produktion, wirkt gegen Müdigkeit und hebt die Stimmung. Wer bewusst auf Lichtsuche geht – auf dem Balkon, im Park, während eines kurzen Spaziergangs – spürt oft schon nach wenigen Minuten einen Unterschied. Es ist, als würde der Winter ein kleines Versprechen abgeben: Das Licht kommt zurück. Tatsächlich werden die Tage seit der Wintersonnenwende am 21. Dezember wieder länger, fast unmerklich, aber stetig.

In vielen Kulturen gelten die Tage nach Weihnachten als magisch. Die sogenannten Raunächte markieren seit Jahrhunderten eine Zeit des Innehaltens, der Reinigung und des Übergangs. Je nach Kulturkreis unterscheidet sich ihre Anzahl und ihre Zeitspanne, jedoch finden die Raunächte alle in der Zeit vor dem Dreikönigstag am 5./6. Januar statt. Mancher Volksglaube besagte einst, die Grenze zwischen den Welten sei in diesen Nächten durchlässiger, und viele der heutigen Neujahrsrituale wie die Silvesterkrapfen, Geselligkeit und Orakelspiele wie das Wachs-oder Bleigießen gehen auf diese Vorstellungen zurück.

Aber auch ganz ohne Mystik lässt sich dieser Gedanke modern interpretieren: Die Raunächte laden dazu ein, auf das Vergangene zurückzuschauen, Belastendes loszulassen und neue Gedanken leise entstehen zu lassen, ohne Druck und ohne Eile.

Auch Dankbarkeit kann in dieser Phase ein Anker sein. Nicht im großen, weltbewegenden Sinn, sondern im Kleinen: ein guter Moment, ein freundlicher Blick, ein Telefonat, das guttut, ein stiller Abend auf dem Sofa. Indem man die Aufmerksamkeit auf solche Miniatur-Freuden lenkt, wird das Chaos der Welt nicht kleiner – aber das eigene Gleichgewicht etwas stabiler. „Zwischen den Jahren“ ist damit kein Moment der Leere, sondern ein Raum zum Durchatmen. Eine kurze, fragile Zeit, in der man weder alles schaffen noch alles ändern muss. Vielleicht ist sie genau deshalb so wertvoll: weil sie uns erlaubt, uns selbst wieder einzusammeln, bevor wir ins neue Jahr hinübertreten.

Druckansicht