Kaum naht der Advent, leuchten allenthalben wieder Sterne in den Bäumen. Da werden Balkone in Lichterketten gewickelt, und im Garten blinken Schlitten und Rentiere. Für dekorierfreudige Weihnachtsfans ist es die schönste Zeit des Jahres, für ihr Umfeld oft ein Problem. „Zu viel Licht während der Nacht bringt nicht nur bei Tieren und Pflanzen den Rhythmus durcheinander, sondern macht auch Menschen auf Dauer krank“, sagt Malte Siegert, Vorsitzender des Naturschutzbunds (Nabu) Hamburg. Besonders kritisch betrachtet er, dass auch in diesem Winter die zweimonatige Lichtshow „Christmas Garden“ im Landschaftsschutzgebiet Loki-Schmidt-Garten in Hamburg stattfindet.
„Die Natur braucht keine Lichtshow. Wir Menschen sind nicht völlig allein auf dieser Welt, sondern Teil eines sensiblen Systems, in dem auch andere Lebewesen wie Insekten, Vögel oder Fledermäuse ihren Platz haben“, sagt Siegert. Durch dauerhafte Beleuchtung gehe der elementar wichtige Tag-Nacht-Rhythmus verloren. Fledermäuse verlören ihre Quartiere, und Insekten würden vom Licht angezogen, wodurch sie entweder als leichte Beute für andere Tiere enden oder durch Erschöpfung sterben würden. „Mittlerweile ist die übermäßige Beleuchtung im städtischen Raum eine der größten Gefahren für die urbane Artenvielfalt“, sagt der Nabu-Experte.
Als Gründer der gemeinnützigen Organisation „Paten der Nacht“ kämpft Manuel Philipp seit 2019 mit rund 50 Ehrenamtlichen im gesamten deutschsprachigen Raum gegen Lichtverschmutzung. Der Begriff bezeichnet das Phänomen, dass künstliche Lichtquellen wie beispielsweise Straßenbeleuchtung, Reklametafeln und Gebäudeanstrahlungen die durch Sterne, Planeten oder den Mond gegebene natürliche Helligkeit der Nacht „verschmutzen“.
Das Kunstlicht störe Tiere und Pflanzen in ihrer natürlichen und nötigen Winterruhe. Es kurble den Stoffwechsel der Vögel an, die dadurch mehr Hunger hätten, diesen aber nicht stillen könnten, weil im Winter zu wenig Nahrung zu finden sei. „Das kann tödlich enden“, sagt Philipp. Seit Jahren werde Deutschland immer heller: „Keine andere Ressource in der Menschheitsgeschichte ist in so kurzer Zeit so günstig und effizient geworden wie das Licht“, sagt der Physiker aus dem bayerischen Rimsting im Landkreis Rosenheim.
Und im Advent kommt rund um die Häuser noch jede Menge Licht-Deko dazu. „Weihnachtsbeleuchtung kann unbestritten etwas sehr Schönes sein, etwa eine Tanne, die mit gelben Mini-Glühbirnchen geschmückt ist“, sagt Philipp. Doch heute würden solche „stillen“ Lichtlein immer wieder in „schreienden“ Fluten an turbohellen Lichterketten ertrinken. Fenster, Balkone und Gärten würden zu „regelrechten Open-Air-Diskotheken, in einigen Nachbarschaften artet das zu einem Wettrüsten in Vorgärten aus“, hat der Physiker beobachtet.
Aus sozialpsychologischer Sicht erklärt Experte Andreas Homburg dieses extreme Verhalten mit dem Bestreben, sich selbst gegenüber Nachbarn abzugrenzen. „Andererseits schafft Weihnachtsbeleuchtung aber auch eine besondere Verbundenheit, eine Gemeinschaft, zu der ich gehören möchte“, lautet eine These des Umweltpsychologen an der Hochschule Darmstadt. Er hofft, dass dennoch Nachhaltigkeit künftig eine größere Rolle spielen wird: „Es geht um einen verantwortungsvollen Umgang, nicht um irgendwelche Verbote.“
Er plädiert wie die „Paten der Nacht“ für ein vernünftiges Augenmaß nach dem Motto „Weniger ist mehr“. Zu viel Bling-Bling schade nicht nur der Natur, sondern störe meist auch den Schlaf der Nachbarschaft, sagt Physiker Philipp. Grundsätzlich sollte Licht nach unten leuchten und die Lichtfarbe Gelb oder Gold haben. Je weißer oder bläulicher das Licht, desto stärker werde die Blendung, desto intensiver würden die Nächte aufgehellt. „Balsam für die Seele sind ein paar wenige wohldosierte Licht-Akzente wie ein schöner Stern in Rot oder Gelb“, sagt der Wissenschaftler.
Um die Umwelt zu schonen, sollten die Lichter längstens bis 23 Uhr und ausschließlich in der Advents- und Weihnachtszeit vom 1. Advent bis 6. Januar, dem Dreikönigstag, genutzt werden. „Damit behält diese Zeit auch ihren Reiz und Zauber“, meint Philipp. Nicht zuletzt koste die Weihnachtsbeleuchtung viel Energie: „In Deutschland leuchten mittlerweile fast 20 Milliarden Weihnachtslichter, das sind mehr als 500.000 Tonnen CO2“, sagt Philipp zum geschätzten Energieverbrauch.
Er appelliert, Lichter zu begrenzen und die Außenbeleuchtung auszuschalten, wenn man sie selbst nicht sieht. „Nutzen Sie nur solche Arten von Weihnachtsbeleuchtung, die Sie auch ins Wohnzimmer hängen würden“, rät der Experte. Auch gut ist es, Lichter nur zur Straße hin anzubringen – so bleibt der Garten für die Tiere ruhig.
Philipp selbst hat seine Lichterkette übrigens schon vor Jahren eingemottet, gemütlich ist es bei ihm trotzdem. Zu Weihnachten, versichert der Physiker, „stelle ich Gläser mit Kerzen auf den Balkon“.