Heute hingegen sind Gespräche genau das, was Khudidah an seiner Arbeit Spaß macht. Anfang Oktober hat er im ehemaligen Fahrkartenhäuschen der Stadtbahn-Haltestelle Messe/Ost einen Kiosk eröffnet, den „Snäxpo“. Dort verkauft er unter anderem Kaffee, andere Getränke, Snacks, Zigaretten – und bald auch Backwaren. Wenige Jahre zuvor war er noch regelmäßig an seinem jetzigen Laden vorbeigelaufen, damals allerdings auf dem Weg ins nächste Informatikseminar an der Hochschule an der Expo-Plaza. Was ist passiert?
Noch bevor Khudidah beginnt, seine Geschichte zu erzählen, holt er eine Dose eines Energydrinks aus dem Kühlschrank – nicht ohne vorher auch ein Getränk angeboten zu haben – und steckt sich einen Nikotinbeutel in den Mund. Mit einem freundlichen Lächeln blickt er schließlich wieder aus seiner Bude heraus.
Wie er da so steht, wirkt Khudidah, als ob ihn wenig aus der Ruhe bringen kann – und offenbar ist dem auch so. Bereits am dritten Tag nach der Eröffnung wurde in den Kiosk eingebrochen und der Laden verwüstet. Doch der 27-Jährige nimmt es gelassen: „Die wissen, wer neu aufmacht, ist noch nicht so gut vorbereitet und hat kein Alarmsystem.“ Das habe er nun nachgerüstet. Auf die Frage, ob er keine Angst vor weiteren Überfällen habe, reagiert Khudidah mit einem Schulterzucken. „Was soll denn passieren?“, fragt er. Im Zweifel sei er ja versichert.
Ayssar Khadidah ist im Irak geboren. Seine Familie und er seien seinerzeit nicht wegen des Krieges ausgewandert, erzählt er, sein Vater habe einfach immer schon aus dem Irak ausreisen wollen. Er habe die Welt entdecken und irgendwo ein neues Leben beginnen wollen. „Im Irak hat man nicht so viele Möglichkeiten“, sagt Khudidah. 2007 entschied sein Vater schließlich, nach Hannover zu kommen, 2009 folgte der Sohn.
In Deutschland angekommen, wurde Khudidah in die fünfte Klasse der IGS Badenstedt eingeschult. „Die Schule hat mir aber gar nicht gefallen“, erinnert er sich. So sei er der einzige ausländische Schüler in seiner Klasse gewesen und habe sich oft fremd gefühlt. Und dann war da eben seine Entscheidung, erst einmal den Mund zu halten. „Es gibt Leute, die kommen hierher und sprechen sofort Straßendeutsch“, erzählt Khudidah, „aber das wollte ich nie. Ich wollte immer einen Satz perfekt sprechen.“ Fast drei Jahre lang habe er deshalb kaum ein Wort gesagt.
Khudidas großes Glück, wie er selbst sagt, war eine Betreuerin der IGS, die Arabisch sprach und Khudidah im Einzelunterricht Deutsch beibrachte. „Sie war wie eine Retterin für mich“, erzählt der junge Mann. Mit der Sprache sei es auch in der Schule bergauf gegangen, er habe seinen Realschulabschluss absolviert und eine Informatikausbildung mit dem Schwerpunkt Mediendesign „ordentlich abgeschlossen“. Währenddessen habe er zudem sein Fachabitur nachgeholt und sich schließlich für das Informatikstudium eingeschrieben.
Mittlerweile scheint er kaum genug plaudern zu können. Am Morgen des Interviews unterbricht Khudidah das Gespräch immer wieder, um Kunden zu bedienen. Es ist deutlich, wer gerade zum ersten Mal hier einkauft und wer bereits häufiger vorbeigekommen ist. Khudidah ist zu keiner Zeit zurückhaltend, spricht offen, freundlich und viel. Bekannten Gesichtern gibt er zum Abschied auch mal die Hand und sagt: „Ciao, ciao my friends.“
Dass ihm die Arbeit im Kiosk so viel Spaß macht, habe er während der Corona-Pandemie gemerkt, sagt Khudidah. Zu diesem Zeitpunkt studierte er eigentlich gerade Mediendesigninformatik an der Hochschule Hannover. Allerdings verlor er während der Onlinevorlesungen die Motivation für das Studium und half stattdessen immer mehr im Kiosk seines Bruders und seines Vaters in Hannover aus.
Angeregt durch die Arbeit dort, war in Khudidah 2023 der Wunsch gereift, einen eigenen Kiosk zu eröffnen. Zunächst habe er ein Fahrerhäuschen an der Stadtbahn-Haltestelle Misburger Straße ins Auge gefasst, dafür erteilte ihm die zuständige Infrastrukturgesellschaft aber eine Absage. Sie bot ihm stattdessen das ehemalige Fahrkartenhäuschen an der Expo-Plaza an.
„Ich habe sofort akzeptiert“, erzählt der junge Mann. Der Standort sei mit der nahe gelegenen Hochschule und der ZAG Arena mit Konzerten und Sportveranstaltungen perfekt, so Khudidah.
Vor zwei Monaten habe er die Genehmigung erhalten und den Laden vorbereitet. Bisweilen sei es noch etwas langweilig, sagt er. Dann sitze er und trinke Kaffee. Doch der Kiosk-Traum lebt, und Khudidah ist guter Hoffnung, sich schnell zu etablieren. Und wenn es nicht klappen sollte? Darauf verschwendet der junge Iraker noch keinen Gedanken. Zurück zur Informatik kann er im Zweifel ja noch früh genug.