Tiere mit heilenden Kräften
An der MHH leben Spinnen und Axolotl-Schwanzlurche:Beide Tierarten produzieren medizinisch interessante Substanzen

Im Spinnen-Labor: Leiterin Dr. Sarah Strauß zeigt den mit Bindfäden durchzogenen Raum, der wegen der hohen Luftfeuchtigkeit abgedichtet ist. Foto: Jonas Dengler
Hannover. Die exotischen Tiere leben nur ein paar Schritte voneinander entfernt, aber doch in ganz anderen Welten. Rund 40 Goldene Radnetzspinnen bewohnen ein eigens für sie eingerichtetes ehemaliges Büro an der Medizinischen Hochschule Hannover. In feuchtwarmer Atmosphäre, denn die australischen Spinnen lieben die Wärme.

Wenige Meter weiter liegt ein Raum mit Aquarien, in dem 36 mexikanische Schwanzlurche dümpeln. In den Seen bei Mexiko-City, aus denen die Axolotl ursprünglich stammen, herrschen niedrige Temperaturen, frisch haben es auch die Lurche im Labor bei maximal 18 Grad.

Was die so unterschiedlichen Tiere vereint: Forscherinnen und Forscher der MHH setzen große Hoffnungen in ihre Schwanzlurche und Spinnen. Die Erkenntnisse aus der Erforschung der Tiere sollen neue Wege für die Heilung von Patienten eröffnen. „Wir wollen von der Natur lernen“, sagt Prof. Peter M. Vogt, Direktor der Klinik für Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie.

Und das gelingt. Die Axolotl haben vor Kurzem einiges Aufsehen erregt. Die Wissenschaftler konnten rund 5000 antimikrobiellen Wirkstoffe im Hautschleim feststellen. „Ihr Abwehrsystem gegen Bakterien ist einzigartig“, sagt Vogt. Ihre schleimige Haut schützt die ausschließlich im Wasser lebenden Tiere vor zahlreichen Krankheitserregern.

Einige dieser Stoffe haben großes Potenzial. Bei Tests in der Petrischale wies das Forschungsteam um Laborleiterin Sarah Strauß nach, dass die Substanzen den gefürchteten Krankenhauskeim MRSA vernichten, der wie inzwischen etliche andere Bakterien gegen gängige Antibiotika resistent ist. Außerdem bekämpfen einige der Wirkstoffe erfolgreich Krebszellen.

Wie kleine Fabelwesen sehen die Axolotl mit ihrem großen Kopf, Knopfaugen und seitlichen Kiemenantennen aus. Im Kerstin Reimers Labor für Regenerationsbiologie leben die geselligen Tiere zu mehreren in ein Aquarium. Gerne verstecken sie sich zu zweit oder dritt in Tonröhren, die als Höhlen bereitliegen.

„Das Tierwohl ist uns sehr wichtig. Wir sind froh, dass die Gewinnung des Schleims ihnen keinen Stress macht“, sagt Strauß. Im Gegenteil: Wenn die Laborleiterin oder ihre Kollegin Vesna Bucan die Hand – zum Schutz der Tiere in einem sterilen Handschuh – ins Wasser steckt, kommen die Axolotl neugierig angeschwommen.

Die kleinen Wundertiere haben erstaunliche Fähigkeiten. Axolotl können ihre Gliedmaßen, Organe und sogar Teile des Gehirns und des Herzens nachwachsen lassen. Eine Erklärung dafür ist womöglich, dass Axolotl lebenslang im Larvenstadium unter Wasser verharren. Sie werden nie „erwachsen“, während andere Lurcharten sich zu Amphibien entwickeln, die an Land leben können.

Bis zu Medikamenten aus den Wirkstoffen der Axolotl ist der Weg noch weit. Dagegen haben die Radnetzspinnen ihren Nutzen für die Medizin bereits unter Beweis gestellt. Ihre äußerst reißfesten Spinnfäden helfen den Medizinern bei der Rekonstruktion zerstörter Nerven, wenn körpereigene Nervenstränge nicht als Ersatz infrage kommen.

Profitiert haben davon bisher vor allem Patienten mit schweren Verletzungen an Hand und Unterarm und zuletzt einzelne Männer, deren Erektionsfähigkeit trotz Entfernung der Prostata erhalten werden konnte. Die Spinnenseide ersetzt die Nerven dabei nicht, sie hilft den noch vorhandenen Nervenenden bei einem zielgerichteten Wachstum.

Damit das klappt, bauen die Mediziner ein Transplantat, das die Strecke zwischen den getrennten Nervensträngen zunächst überbrücken soll. Ein Stück Vene dient dabei als Gerüst. In dieser Hülle sind parallel zahlreiche Spinnfäden gezogen, die den nachwachsenden Nerven die Richtung vorgeben. Gut 20 Zentimeter können damit überbrückt werden. Bisher hat allein die MHH eine Zulassung zur Verwendung der Seide. Strauß kann sich immer wieder neu über die hauchfeinen Fäden begeistern. „Spinnenseide ist die stärkste bekannte Naturfaser, viermal reißfester als Stahl und elastisch wie Gummi.“ Selbst bei der notwendigen Dampfdrucksterilisation verliert das Material seine Eigenschaften nicht.

Für die Spinnen der australischen Art Trichonephila Edulis, deren direkte Vorfahren aus dem Stuttgarter Zoo Wilhelma stammen, wurde das Labor für Regenerationsbiologie vor mehr als 20 Jahren aufgebaut. Äste und Bindfäden verlaufen kreuz und quer durch den Raum, damit die rund 40 ausgewachsenen Weibchen dort nach Belieben ihre Netze spannen können. Die Bindfäden dienen den winzigen Männchen auch als Laufwege zu ihren potenziellen Partnerinnen.

Zum Gewinnen der Seide setzt Strauß eine Spinne vorsichtig auf ein Schaumstoffkissen und fixierte sie. Seide in sieben Qualitäten produzieren die Tiere, zwei davon eignen sich für die Implantate. Den passenden Faden aus der Drüse am Hinterleib der Spinne greift Strauß mit einer weichen Pinzette und spannt ihn in eine Wickelmaschine.

Bis zu 50 Meter Seide gibt eine Spinne bei einer Sitzung ab. Zur Belohnung bekommt sie danach eine Extra-Grille. Die Spinnen, die bis zu zwei Jahre alt werden, verrichten ihre Arbeit abwechselnd und nur bei Bedarf. Die Tiere erkennen ihre menschlichen Betreuer übrigens an Sprache und Trittschall: Wenn sie den Studenten wahrnehmen, der sie füttert, sind sie voller Erwartung.

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