Das einzigartige Kunstwerk gehört zu Hannovers kostbarsten Kulturschätzen. Und zu den längsten. Rund 6,50 Meter misst die sogenannte Esther-Rolle aus dem Jahr 1746, die mit farbenprächtigen Bildern illustriert ist.
Das Pergament, das die Geschichte des biblischen Buches Esther erzählt, lag lange fast unbeachtet in den Beständen der Leibniz-Bibliothek. Erst 2013 wurde die Pergamentrolle eingehend erforscht. Ihre wissenschaftliche Wiederentdeckung sorgte damals weltweit für Wirbel.
Die Schauspielerin Iris Berben kam damals zu einer Esther-Lesung nach Hannover, der Taschen-Verlag brachte eine limitierte Edition von Faksimiles (Stückpreis: 500 Euro) auf den Markt. Das Original war 2013 für kurze Zeit zu sehen – und seither nicht mehr.
Jetzt präsentiert die Leibniz-Bibliothek das ausgerollte Schriftstück erstmals für längere Zeit öffentlich – bei gedämpftem Licht, in einem klimatisiertem Glaskubus. „Das Pergament ist sehr empfindlich“, sagt Bibliothekssprecherin Britta Lehradt. Experten überwachen permanent seinen Zustand. Voraussichtlich wird die Rolle zunächst bis zum Ende des Jahres ausgestellt.
Der Text erzählt die schelmische Geschichte der schönen Jüdin Esther. Diese vereitelt mit viel Cleverness ein Mordkomplott gegen das jüdische Volk. Im jüdischen Leben hat das Buch Esther einen festen Platz: Alljährlich wird es beim Purim-Fest verlesen, das an den Karneval erinnert.
Verkleidete Kinder haben dabei Rasseln, mit denen sie den Namen des Bösewichtes Hamann übertönen, wann immer dieser erklingt. Erwachsene sollen sich beim Purim-Fest, wie es im Talmud heißt, so sehr betrinken, dass sie nicht mehr zwischen dem Schurken Hamann und seinem guten Gegenspieler Mordechai unterscheiden können. Aber nicht alle Erwachsenen sind so fromm, dass sie sich daran halten.
Die Esther-Rolle der Leibniz-Bibliothek ist – passend zur Geschichte – mit springenden Hirschen und Musikanten in Narrenkostümen illustriert. Das in Hildesheim gefertigte Stück gilt als herausragendes Zeugnis jüdischer Kultur.
„Diese Rolle ist einzigartig, da sie in deutscher Sprache geschrieben ist“, erklärte der Historiker Falk Wiesemann, der sie 2013 erforschte, „keine andere kommt diesem hannoverschen Exemplar gleich.“
Die biblischen Figuren in den Illustrationen tragen Kleider des 18. Jahrhunderts. Den deutschen Text hatte der Schreiber kurzerhand aus einer 1723 in Lüneburg erschienenen Luther-Bibel übernommen. Die so entstandene Rolle ist gewissermaßen der Versuch eines interreligiösen Brückenschlages: „Sie wurde wohl für Adressaten geschaffen, die selbst keine Juden waren“, sagte Wiesemann.
In der Leibniz-Bibliothek ist die Esther-Rolle im ersten Stock nun neben anderen herausragenden Schätzen zu sehen: In einem Tresor hinter Panzerglas liegt dort der berühmte Goldene Brief. Ein birmanischer König verfasste das Schreiben an König Georg II. 1756 auf hauchdünnem, mit Rubinen verzierten Goldblech.
Der Goldene Brief zählt zum Weltdokumentenerbe der Unesco – ebenso wie die gleichfalls in der Bibliothek verwahrten Briefe von Gottfried Wilhelm Leibniz. Die von dem Universalgelehrten konstruierte Rechenmaschine wird in deren Ausstellung neben kostbaren Büchern aus dem Besitz des genialen Denkers präsentiert. Die Esther-Rolle ist also in guter Gesellschaft.
Die Leibniz-Bibliothek, Waterloostraße 8, ist montags bis freitags von 9 bis 19 Uhr sowie sonnabends bis 15 Uhr geöffnet.