Ein Team für alle Felle
Hinter verschlossenen Türen treffen die Tierretter der Feuerwehr Hannover immer wieder auf Überraschungen. Die eigentliche Gefahr geht aber oft nicht von den Tieren aus.

André Pusch (links) und Stefan Becker, beide Hauptbrandmeister der Feuerwehr Hannover, demonstrieren den Einsatz eines Betäubungsgewehrs. Die Feuerwehr nutzt das Betäubungsgewehr oder ein Blasrohr um Tiere aus Entfernungen bis zu 30 Metern zu betäuben. Foto: Jonas Dengler
Hannover. Skorpione, Schlangen, Spinnen, Krokodile – die wirklich exotische Tierwelt Hannovers kriecht und krabbelt hinter verschlossenen Türen. Zumindest so lange, bis Feuerwehr, Rettungsdienst oder Polizei diese Türen öffnen müssen. Etwa, weil ein Brand ausgebrochen ist oder ein Bewohner dringend Hilfe benötigt. Dann betreten Einsatzkräfte eilig die Wohnung – und finden ein leeres Terrarium vor. Was da wohl drin war? Und wo ist es jetzt? „Eins mag der Feuerwehrmann nicht: Überraschungen“, sagt Marc-Oliver Spohr, Leiter Feuer- und Rettungswache 4 in Bornum.

In solchen Fällen kommt die Tierrettung der Feuerwehr Hannover zum Einsatz. Das Team ist für den Umgang mit tierischen Überraschungen aller Art ausgebildet. Das Spektrum ist so bunt wie die Tierwelt: Der aggressiv bellende Hund in einer Brandwohnung, die verletzt wirkende Taube, die Passanten auf der Straße finden, die Katze, die nicht mehr vom Baum herabkommt. Oder eben Schlangen, die aus den Wohnungen ihrer Halter ausgebüxt sind. Die Tierretter schützen Warm- wie Kaltblüter vor sich selbst, vor anderen Menschen sowie Feuerwehrleute, Rettungsdienst und Polizei vor gefährlichen Artvertretern.

Damit hat das Team ziemlich viel zu tun. Zu zwischen 1000 und 1300 Einsätzen muss es jedes Jahr ausrücken. Bis Ende Mai waren es in diesem Jahr bereits um die 270. Jetzt, im Frühling, haben die Tierretter besonders viel zu tun. Der Nachwuchs etlicher Tierarten wird gerade flügge und erkundet erst mal auf eigene Faust die nähere Umgebung. Dabei komme es oft zu Missverständnissen zwischen Mensch und Tier, so Spohr.

Das gängige Beispiel seien Vogelküken, die vermeintlich von den Eltern verlassen hilflos an Wegen und Straßen sitzen. Ein Trugschluss: „Junge Tiere brauchen Pausen“, so Spohr. „Sie sitzen dann auch einfach mal unter der Beobachtung ihrer Eltern herum.“ Doch vielen Stadtbewohnern fehle das Wissen über die Natur. Viele würden voreilig Tiere zum in Kliniken oder Auffangstationen bringen oder eben die Feuerwehr alarmieren. Damit würden die Passanten oft mehr Schaden anrichten: Erstens, weil das Mitnehmen von geschützten Tieren als Wilderei strafbar ist. Zweitens, weil der Finder auch finanziell die Verantwortung trägt – etwa, für mögliche Behandlungskosten. Und drittens, weil die vermeintlich zurückgelassenen Tiere im schlimmsten Fall nicht mehr zu ihren Eltern zurückfinden können. „Die schiere Masse solcher Einsätze ist zum Teil unnötig“, sagt der 52-Jährige.

Ist die Tierrettung im Einsatz, treffe das auf großes Interesse, so der Chef der Feuerwehrwache. Etwa, wenn Passanten im Winter Schwäne melden, die auf dem Maschsee eingefroren sein sollen. Unter Lebensgefahr begeben sich dann Retter auf das Eis – und wenn der Vogel zum Greifen nah ist, hebt er plötzlich ab und fliegt davon. Spohr erinnert sich auch an einen Waschbären, der Ende der Neunzigerjahre auf dem Bahnhofsvorplatz Aufsehen erregte. Der kleine Räuber konnte erst nach einer längeren Verfolgungsjagd eingefangen werden.

„In der Stadt kommt alles zusammen“, so Spohr. In den vergangenen Jahren seien immer exotischere Warm- und Kaltblüter in den Wohnungen aufgetaucht. Mitunter stammten diese illegal vom Schwarzmarkt: Vor allem Schlangen und Insekten treffen die Tierretter immer wieder in Terrarien an – und ab und an gleich sehr, sehr viele davon mit einem Mal, berichtet Spohr.

Auch die Zahl der verwahrlosten Hunde, die sich Menschen in der Corona-Zeit angeschafft hätten, sei gestiegen. Parallel dazu drängen immer mehr wilde Arten in stadtnahe Bereiche: Nutrias, Waschbären, Biber, Wildschweine. Auch der Klimawandel wird höchstwahrscheinlich dafür sorgen, dass alte Arten verschwinden und sich neue, sogenannte Neozoen, ausbreiten – wie etwa die invasiven Asiatischen Hornissen.

Um mit jeder Tier- und Einsatzart klarzukommen, hat das Rettungsteam ein eigenes Fahrzeug. Es ist gut an den Hirsch-, Gans-, Hund- und Katzenaufklebern an den Seiten zu erkennen. Statt Löschschläuchen und Atemmasken befinden sich im Inneren alle möglichen Utensilien, die das Team im Umgang mit Reptilien, Vögeln, Vier- und Vielbeinern braucht: Netze, Käfige und Boxen zeigen die beiden Feuerwehrleute André Pusch und Stefan Becker. Aber auch bissfeste Handschuhe, Schutzanzüge. „Der Waschbär greift auf Augenhöhe an“, sagt Spohr und spricht aus Erfahrung. Auch Krähen hätten es schon auf die Retter abgesehen und die Feuerwehrleute in den Kopf gehackt. Ein Betäubungsgewehr befindet sich ebenfalls im Fahrzeug. Es wird etwa bei ausgebüxten Kühen oder aggressiven Hunden eingesetzt.

„Wir müssen uns ständig weiterbilden“, so der Leiter der Bornumer Feuerwehrwache. „Da brauchen wir Improvisationstalent und Flexibilität.“ Denn immer wieder kommen neue Arten hinzu, mit denen es die Retter zum ersten Mal zu tun haben.

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