Den Moment, der alles zum Kippen brachte, hat Lisa Holtmeier noch klar vor Augen. Im Physikunterricht wanderte ein Zettel durch die Klasse, bis er bei ihr landete. „Wir schubsen dich vor den Bus“, stand da drauf, so erzählt sie. „Ich hatte Angst, zur Schule zu gehen, Angst, dass mir etwas passiert.“
Schon vorher war sie ausgegrenzt und gehänselt worden. Das Mobbing machte sie krank. „Ich hatte Kopf- und Bauchschmerzen, mir war oft schlecht. Wir waren bei vielen Ärzten, aber niemand fand etwas“, sagt die heute 30-jährige Hannoveranerin. „Heute weiß ich, das war psychosomatisch.“
Doch statt sich zurückzuziehen, entwickelte sie als Jugendliche einen diffusen Ehrgeiz und suchte den Ausweg nach vorn. Mit 14 besuchte sie freiwillig eine Fortbildung über Kommunikation. „Ich wollte verstehen, warum wir so miteinander umgehen. Warum machen wir uns das Leben nicht leichter?“
Die schmerzhafte Mobbingerfahrung wurde zum Antrieb. Nach der Schule machte sie eine Ausbildung zur Ergotherapeutin und arbeitete fünf Jahre in Kliniken und Praxen. Dabei erkannte sie, wie eng Kommunikation und Gesundheit zusammenhängen. Schließlich machte sie sich selbstständig und ist heute Kommunikationscoach und Podcasterin – und seit Kurzem auch Autorin.
Ende Februar erschien ihr erstes Buch „Wortmedizin“. Auf 256 Seiten erklärt sie, wie bestimmte Kommunikationsmuster krank machen – von Nonpologys („Du weißt doch, wie ich bin!“) über Gaslighting („Das hast du falsch verstanden.“) und toxische Positivität („Kopf hoch!“) bis hin zu sprachlicher Gewalt. Jedes der 20 Kapitel beleuchtet ein bekanntes Verhaltensmuster aus Neurowissenschaft und Psychologie.
Mit ihrem Buch will die Hannoveranerin Menschen dazu bringen, ihre Sprache und ihr Verhalten zu hinterfragen. Es gehe nicht darum, andere zu korrigieren, sondern sich selbst bewusster zu beobachten. „Wir alle haben ungesunde Muster, die wir uns über Jahre antrainiert haben.“
Manchmal, sagt Holtmeier, schaden wir damit nicht nur anderen, sondern auch uns selbst. So stellen sogenannte People Pleaser die Bedürfnisse anderer konsequent über ihre eigenen, um zu gefallen. „Das Problem ist, dass dieses Verhalten sozial anerkannt ist und zunächst belohnt wird“, erklärt sie. „Wer es allen recht macht, wird gelobt. Aber irgendwann schafft man es nicht mehr, weil man sich selbst völlig vernachlässigt hat. Sich dann abzugrenzen, ist besonders schwer, weil das Umfeld sich an das People Pleasing gewöhnt hat.“
Die Folgen: chronischer Stress, ein erhöhtes Risiko für Depressionen, Angststörungen und Burn-out. Auch der Drang, negative Gefühle zu unterdrücken, kann krank machen. Dieses Phänomen nennt sich toxische Positivität. „Gefühle wie Wut oder Trauer sind zwar unangenehm, aber sie helfen uns, Dinge zu verarbeiten“, sagt Holtmeier.
Wird es in Beziehungen oder Freundschaften nicht anstrengend, als Kommunikationsprofi? Holtmeier schmunzelt. Im Privatleben habe sie keinen Anspruch, andere zu therapieren. Natürlich nehme sie bewusster wahr, wie Menschen kommunizieren. „Aber ich bin nicht übergriffig und korrigiere niemanden. Das steht mir nicht zu.“ In ihrer Freizeit beschäftigt sie sich gern mit leichteren Themen – etwa Hannover 96. Wie ihr Freund, für den sie aus Braunschweig nach Hannover zog, ist sie inzwischen großer Fan des Zweitligisten. „Die Stadt hat mich infiziert“, sagt sie und fügt lachend an: „Ich bin sehr begeisterungsfähig.“
Vor eineinhalb Jahren sorgte sie sogar kurzzeitig für Schlagzeilen als „geheimnisvolle Zettelschreiberin“ auf dem Trainingsgelände von Hannover 96. Wochenlang befestigte sie handgeschriebene Motivationsbotschaften für die Mannschaft am Zaun. Als die Zettel immer mehr Aufmerksamkeit erhielten, gab sie sich zu erkennen. Der damalige Trainer Stefan Leitl besuchte sie daraufhin in ihrem Podcast. „Ich habe den Pressesprecher einfach gefragt, ob er Lust hätte“, erzählt sie.
Holtmeier strahlt einen hartnäckigen Ehrgeiz aus, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Um sicherzugehen, dass „Wortmedizin“ in den hannoverschen Buchhandlungen erhältlich ist, klapperte sie vor der Veröffentlichung alle Läden in der Innenstadt ab und warb für ihr Buch. „Ich wollte darauf hinweisen, dass ich aus Hannover komme“, sagt sie. „Das macht das Buch für die lokalen Händler interessanter.“
Die Reaktionen waren positiv, einige bestellten das Buch sofort. Ein Video ihrer Tour durch die Buchhandlungen teilte sie auf Instagram. Wie kam sie auf die Idee? „Ich wollte, dass möglichst viele davon erfahren. Ich habe ja viel dafür getan.“
Sich selbst zu vermarkten, musste sie erst lernen. Am Anfang fiel es ihr schwer, Aufträge von Kliniken und Praxen zu bekommen. „Ich war 24, als ich mich selbstständig gemacht habe. Als junge Frau war das eine Herausforderung. Oft saß ich in Männerrunden, in denen mir die Welt erklärt wurde.“ Doch das sei auch ein gutes Training gewesen, fügt sie grinsend hinzu.
Kleinmachen will Holtmeier sich nicht mehr. Das kann auch ungesund sein. Steht in Kapitel 17 ihres Buchs.