Natürlich geht es um einen Riss im Raum-Zeit-Kontinuum, der wieder gekittet werden muss. Bis das gelingt, sind die Gesetze der Physik für einen Abend außer Kraft gesetzt. Timothy Trust (GOP-Stammgäste erinnern sich vielleicht noch an die Show „Trust me“ im Jahr 2017) ist eigentlich Jurist mit Prädikatsexamen. Anfang der Neunzigerjahre machte er zusammen mit Sascha Grammel (heute ein Bauchredner-Star) erste Schritte im Showgeschäft.
Seit mehr als zehn Jahren steht er mit Diamond Diaz auf der Bühne – das preisgekrönte Duo präsentiert Klassiker der Zauberkunst, bei denen Frau Shakespeare in einer Kiste verschwindet und von Leuchtschwertern durchbohrt wird. Und Mentalmagie. Mit verbundenen Augen erkennt seine Partnerin Dinge, die sich Trust im Publikum von zufällig ausgewählten Zuschauerinnen und Zuschauern zeigen lässt: eine Haarklammer, einen Trinkhalm, den Schlüssel eines BMW, ein Handy, dessen Akkuladestand gerade bei 44 Prozent steht. Verwundert möchte man sich auch die Augen beim Auftritt von Alina Hryshkova reiben. Denn die 19-jährige Artistin aus der Ukraine belebt einen Varietétrend aus dem goldenen Zeitalter in den 1920er-Jahren: Hairhanging. Die Haare sind zu einem Dutt geformt, darin verankert ist ein Seil, an dem die zierliche Künstlerin schwebt und Pirouetten dreht.
„Rêve de Lumière“ (franz. „Traum vom Licht“) gibt sich nicht mit einer Kunstrichtung auf der Bühne zufrieden – das Rollschuh-Duo bindet Strapaten, von der Decke hängende Seile, in die Nummer ein. Das Paar wirbelt zwischen Boden und Luft mit einer Dynamik, die die beiden von Konkurrenten in dem Metier abhebt und zu etwas Besonderem macht. Jonglage? Kennt man – mit Bällen, Reifen, Kegeln. Doch immer wieder gibt es Artisten, die die Regeln brechen. In der vergangenen GOP-Show „Handmade“ gelang das Esther und Jonas Slanzi, die bis zu neun Champagnerflaschen über eine schräg stehende Tischplatte kreiseln ließen. Das aktuelle „Multiversum“ geht einen Schritt weiter: Denn Thomas Staath ist ein Muskelprotz mit wildem Rauschebart, den man eher in einer Crossfit-Box vermuten würde – er jongliert mit Lkw-Reifen!
Ein Naturbursche aus dem Elsass, der zu den Klängen von „The Trooper“ von Iron Maiden die Gummireifen wie Flummis durch die Luft wirft. Und ein Bühnenrequisit erobert, das meist von Frauen in knappen Kostümen benutzt wird: die Tanzstange. Staath kombiniert pure Kraft, Leichtigkeit und kleine laszive Bewegungen, um die sonst mit dieser Nummer verbundene erotische Spannung auf die Schippe zu nehmen.
Etwas unvermittelt bitten dann Timothy Trust und Diaz das Ensemble zur Schlussnummer auf die Bühne. Und gerade als das Publikum alle Artistinnen und Artisten durchzählt und auf unbekannte Gesichter stößt, kommt der eigentliche Höhepunkt der Show: Das kanadische Trio „Synched“ setzt den Schlusspunkt mit meisterhafter Banquine-Zirkuskunst – Maxwell Yentin und Maxime Blenckeart machen Zoé Sascartier zum Spielball, lassen sie fliegen. Das Publikum bedankt sich mit stehendem Applaus.
„Multiversum“ im GOP (Georgstraße 36) läuft bis 3. März. Karten kosten ab 35 Euro