Ingenieur Helmut Hesse aus der Südstadt ist Sachverständiger für Verkehrswegebau und andere Bauthemen. Er hat die öffentlich einsehbaren Ausschreibungsbedingungen durchforstet, mit denen sich Baufirmen derzeit für den nächsten Bauabschnitt der Schnellwegerweiterung bewerben dürfen. Der Bauzeitenplan liegt der Redaktion vor. Hesse sagt nach Analyse der Pläne: „Irgendwelche Rodungsarbeiten vor dem Ende der Vegetationsperiode des kommenden Jahres sind nicht erforderlich.“
Bei Klimaaktivisten und Ausbaugegnern herrscht schon länger der Verdacht, dass das Land die Rodungen vorzieht, um Fakten zu schaffen. Konkret geht es um ein großes Baufeld rund um die Leinebrücke des Südschnellwegs und die benachbarte Leineflutbrücke über den Großen Ricklinger Teich. Beide erreichen laut Einschätzung der Behörde in Kürze das Ende ihrer Lebensdauer, sind bereits notstabilisiert und sollen komplett ersetzt werden.
Nach Angaben der Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr (NLStBV) sollen die Arbeiten im Sommer 2024 beginnen. Weil zwischen März und Oktober nicht gerodet werden darf, sollen die Bäume nun im Januar gefällt werden, voraussichtlich in der Woche ab 8. Januar. Klimagruppen haben Proteste angekündigt. Erwartet wird, dass wie schon im Vorjahr etliche Hundertschaften der Polizei die Rodungen sichern müssen.
Dem Bauzeitenplan zufolge aber stehen im Sommer nur sehr untergeordnete Arbeiten an. Demnach werden ab 6. September vier Wochen lang „schwimmende Zufahrten“ zu einzelnen Brückenpfeilern im Großen Ricklinger Teich erstellt, die dann aber erst im Februar 2025 für Arbeiten an einem Pfeilerunterbau genutzt werden. Zudem sollen im Spätsommer sieben Probebohrpfähle in den Boden gebracht und acht Wochen lang das Baufeld eingerichtet werden – danach ruht die Baustelle laut Bauzeitenplan bis in den Januar 2025.
Landesbehördensprecher Andreas Moseke stellt das anders dar. Nach seiner Auskunft beginnt die Herstellung der neuen Brücke über dem Großen Ricklinger Teich im dritten Quartal 2024, die der Leinebrücke dann tatsächlich Anfang 2025. Vor allem aber sei „vorgesehen, die Baustelle zeitnah nach der Vergabeentscheidung einzurichten“.
Die Vergabe des Bauauftrags soll nach Angaben Mosekes bis Sommer erfolgen. Dann könnten auch schon Leitungsverlegungen vorgenommen werden, die im Bauzeitenplan aber nicht enthalten sind. Insgesamt habe man den Anspruch, „dem künftigen Auftragnehmer Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen die vertraglich vereinbarte Leistung innerhalb des vereinbarten Zeitraums ausgeführt werden kann“. Das beinhalte auch, dass er schnell nach Auftragserteilung auf die freigeräumte Baustelle könne, um dort bis 2031 an den Brücken zu arbeiten.
Ingenieur Hesse schreibt in einer Stellungnahme, nach seinen Recherchen sei für die aktuell geplante Rodung aus den Bauabläufen „kein Grund erkennbar“. Mit seinen Erkenntnissen hat er sich auch an Innenministerin Daniela Behrens (SPD) gewandt. Es seien „massive Auseinandersetzungen der Polizei mit Baumbesetzern und Klimaaktivisten zu befürchten“, schreibt der Ingenieur. Dies könne vermieden werden, indem die Rodung verschoben werde: „Mit heutigem Stand steht noch mehr als ein Jahr Zeit zur Verfügung, um den drohenden Konflikt zu entschärfen.“
Auch an den zuständigen Landesverkehrsminister Olaf Lies (SPD) hat Hesse geschrieben. Von beiden Ministerien aber hat er nach eigenen Angaben bislang keine Antwort erhalten.
Die Erweiterung des Schnellwegs ist ein Zankapfel in Hannover. Im Bereich Döhren spendiert der Bund einen Tunnel als Ersatz für die marode Schnellwegbrücke, dort laufen die Arbeiten bereits. Im Bereich der Leinemasch aber regt sich viel Widerstand, weil zahlreiche Bäume in einem Landschaftsschutzgebiet fallen müssen. Der Schnellweg wird dort von derzeit etwa 14,50 auf künftig 25,60 Meter Breite erweitert, damit man dort schneller fahren kann und liegen gebliebene Autos keine Staus verursachen und mehr Sicherheitspuffer entstehen.
Derzeit ist eine Klage dagegen anhängig. Zudem fordern Protestgruppen eine Abkehr von den Plänen. Mitte Dezember aber hat Verkehrsminister Lies in einem Brief an die Bürgerinitiative Leinemasch-West erneut bekräftigt, dass er von dem Planfeststellungsbeschluss für den neuen Südschnellweg nicht abweichen werde, weil seine Behörde sonst neue Klagen fürchte.