Vima freut sich immer schon auf den Donnerstag, dann ist Clowntag an der Medizinischen Hochschule (MHH). Nach einem akuten Leberversagen war die Zehnjährige aus Rostock bereits einige Wochen in Hannover. „Sie stand von heute auf morgen auf der Hochdringlichkeitsliste für eine Organspende“, berichtet Mutter Evi Klein. Ein Organ konnte im Sommer gefunden werden, die Transplantation hat geklappt, jetzt ist sie wegen einer Infektion erneut an der MHH. Und ziemlich tapfer. Die beiden Clowns lenken sie ab, „sie hat richtig spürbar mehr Kraft nach diesen Besuchen“, sagt die Mutter.
Bert und Rico sind ein eingespieltes Team. Rico heißt eigentlich Lars Siggelkow und ist selbstständiger Koch, Bert ist im Restleben Jens Ibendorf und Fakultätsgeschäftsführer der Universität. Beide haben zunächst eine dreijährige Clownsausbildung absolviert, bevor sie dann noch ein weiteres Jahr für den Klinikclown drangehängt haben. Den Verein Klinikclowns gibt es jetzt seit gut 20 Jahren – Bürgerengagement mit roten Nasen.
„Bei den Klinikclowns geht es um Begegnungen und Beziehungen“, betont Bert und holt schon mal Eichhorn Lothar aus seiner Tasche, um einen wartenden Jungen im Gang damit anzusprechen. „Wir sind nicht immer lustig und wollen es auch gar nicht sein. Manchmal legen wir bei Eltern einfach nur einmal eine Hand auf die Schulter – und sind wieder weg.“
Ungebeten kommen sie in kein Klinikzimmer an diesem Vormittag. Vor allem Teenager finden die Typen mit den komischen Nasen und seltsamen Hosen oft ziemlich peinlich. „Dass sie uns dann aber aktiv rausschmeißen können und wir das auch noch feiern, das finden sie dann oft doch ganz lustig“, sagt Rico. Bei Fenja und Nura dürfen sie Luftgitarre spielen, es wird ordentlich gekichert. Alle Gefühle im Zimmer seien willkommen. Die beiden und ihre fünf Kollegen und Kolleginnen an der MHH versuchen stets, spontan auf die Stimmung der jungen Patienten zu reagieren. „Dazu gehört natürlich auch oft viel Traurigkeit.“
Auf der Onkologie würden Kinder oft über eine lange Zeit behandelt, „da entstehen dann mitunter richtige Beziehungen“, erzählt Bert. Die Clowns bekämen Narben gezeigt und Tränen. „Wir versuchen, etwas Leichtigkeit in den Alltag zu bringen“, so Rico. Was nicht immer einfach sei, schließlich bekämen die beiden auch jede Menge Frust, Angst und auch Aggressivität zu spüren. „Solche Situationen haben wir in der Ausbildung intensiv trainiert“, betont Bert. Michael Sasse, Leitender Oberarzt der pädiatrischen Intensivstation, spricht von den sieben Klinikclowns im Haus von „Lebensrettern mit der roten Nase“. „Wir haben hier viel Perspektivlosigkeit, dazu wenig Personal, auf dem immer mehr Arbeit – und Leid – lastet.“ Die Clowns würden daher auch das Team entlasten, „die dürfen andere Sachen mit den Kindern machen als wir, können ohne medizinische Professionalität in Kontakt treten. Gewissermaßen lebenslustige Anarchie im Krankenzimmer walten lassen“.
Viele der schwer kranken Kinder, so Sasse, seien mit ihrem Zustand in einem Tunnel. „Die Clowns holen sie da raus – und sie haben so schon Leben gerettet.“ Der Oberarzt berichtet von den wichtigen Effekten jenseits der Schulmedizin, „sie erfahren durch Menschen wie Bert und Rico Lebensmut und Freude, und sie müssen nichts zurückgeben.“ Sasse ist sicher, dass besondere Begegnungen Kinder zurückholen, die sich selber aufgegeben haben. „Sie wecken die Selbstheilungskräfte und damit die Überlebensgeister.“
Der Mediziner erzählt von etlichen Fällen, bei denen nach einem Besuch der Klinikclowns oder auch durch andere Therapietricks – so stand einmal ein leibhaftiges Polizeipferd auf dem Balkon vor dem Zimmer einer Patientin – die kranken Patienten wieder angefangen haben, zu essen und zu trinken – und damit zu leben. Der Heilungsprozess werde dann beschleunigt, ein spiritueller Einfluss auf den Gesundungsprozess sei nicht von der Hand zu weisen. „Manche haben sich aufgegeben und wollen sterben. Eine einzige Begegnung kann alles drehen. Die Schulmedizin allein ist verloren ohne solche Erlebnisse.“ Ohne Lebensfreude gebe es keine Heilung.
Rico und Bert agieren meistens ganz spontan. „Seifenblasen gehen immer“, sagt Rico. Aber er versuche auch, schnell zu scannen, wo ein Kontakt hergestellt werden könne, noch etwas, was Clown und Kind verbindet. Beide Männer machen den lustigen Nebenjob bereits ein paar Jahre – „für mich eine Alternative zum normalen Leben, hier kann ich den Alltag statt im Kopf über den Bauch leben“, berichtet Clown Bert alias Jens Ibendorf. Die Auftritte in der Klinik seien befreiend, „da kommt man nicht mehr von los“.
Rico alias Lars Siggelkow mag die Freiheiten des Archetypus Clown. „Und ich möchte aktiv einen Beitrag für die Heilung der Patienten leisten – neben der Schulmedizin.“ Vier Stunden sind sie an diesem Vormittag unterwegs auf den verschiedenen Kinderstationen der MHH. Der kleine Kalle begegnet ihnen auf dem Flur, auch der Fünfjährige hat eine Lebertransplantation hinter sich und muss wegen eines Infektes untersucht werden. Und wartet. Kalle hat Hunger, die beiden Rotnasen lenken ihn ein wenig ab. „Viel zu holen ist hier heute allerdings nicht“, sagt Bert. Kalle hat kein Mal gelächelt.
Auch Raffael ist schüchtern und versteckt sich hinter Papa, als die Clowns kommen. Dabei hat er sie sich ausdrücklich gewünscht. „Das ist völlig egal“, sagen Bert und Rico, „wir nehmen und geben, wie es kommt.“ Und als die beiden am Flurende sind, ruft Raffael ihnen aus sicherer Entfernung noch etwas Freches hinterher. Jede Begegnung lohnt, da sind sich Klinikclowns und Mediziner einig.
Seit einiger Zeit besucht die Truppe auch Menschen auf der Palliativstation. „Auch Erwachsene mögen die Ablenkung durch uns“, so Rico. Sie kommen zu Sebastiano, ein Endvierziger mit fortgeschrittener Krebserkrankung. Er ist Italiener, Bert und Rico beginnen sofort eine Mafiageschichte zu spinnen, mit Pistole und Schwarzgeld. Sebastiano spielt mit, er ist schlagfertig, hat ein breites Lachen im blassen Gesicht. „Das war lustig“, sagt er, als die zwei Quatschmacher verschwunden sind. Er sei selber ein Spaßvogel. Sie haben sich nie zuvor gesehen und wirken doch wie ein eingespieltes Team. An diesem Tag hat der Patient Appetit bekommen.