Um die Scheibe muss er sich allerdings nicht mehr sorgen. Sie war bereits voller Risse. Denn sie ist das Original aus dem Feuerwehrauto, in dem die Einsatzkräfte der Laatzener Feuerwehr in der Silvesternacht 2023/2024 von mehreren Jugendlichen auf der Straße Am Wehrbusch angegriffen worden waren. Die vor knapp zwei Jahren beschädigte Scheibe ist nun aus einem besonderen Anlass mit einem Holzgestell vor die intakte Frontscheibe des Wagens montiert worden.
Für eine neue Folge des VOX-Formats „Doc Caro – Leben hautnah“ zum Thema Gewalt gegen Einsatzkräfte stellt ein Filmteam der Produktionsfirma Spin TV Special Interest den Angriff auf die Rettungskräfte nach. Dabei mimen zehn Freiwillige aus den Laatzener Ortsfeuerwehren die jugendlichen Straftäter. Zehn weitere helfen beim Auf- und Abbau der Szenerie. Dafür haben sie Paletten und eine Feuerschale als Barrikaden auf der Straße platziert. Diese sollen den brennenden Tannenbaum ersetzen, mit dem die Einsatzkräfte in der Silvesternacht in den Hinterhalt Am Wehrbusch gelockt worden waren.
Auf die Laatzener Silvesterkrawalle sei das Filmteam bei Recherchen im Internet gestoßen, sagt Dr. Carola Holzner, die im Jahr 2022 für Sat.1 die Doku-Reihe „Doc Caro – Einsatz mit Herz“ gedreht hat. 2023 wechselte die Notfall- und Intensivmedizinerin mit dem Format „Doc Caro – Jedes Leben zählt“ zu VOX. In Laatzen drehten sie und ihr Team diese Woche für ihre aktuelle Doku-Reihe „Doc Caro – Leben Hautnah“.„Bei dem Thema Gewalt gegen Einsatzkräfte erschreckt es mich, dass ganz viele Menschen gar nicht wissen, dass das jeden Tag in Deutschland passiert“, sagt die Ärztin. Erzähle man davon, reagierten die Menschen schockiert – das zeige, dass bei diesem Thema deutlich mehr Aufklärungsbedarf bestehe.
Die Silvesterkrawalle in Laatzen seien sogar doppelt schlimm, weil die Feuerwehr bewusst in einen Hinterhalt gelockt wurde. „Das ist vorsätzliche Gewalt an Hilfskräften“, betont Holzner. Daher sei es wichtig, in der Öffentlichkeit darüber zu berichten.
Gedreht wurde die Szene mit den Angriffen auf die Feuerwehrleute bei strömenden Regen. Allerdings nicht an dem Originalschauplatz Am Wehrbusch, sondern in der Parallelstraße, dem nördlichen Teil des Bahnwegs, der seit April dieses Jahres für den Fahrzeugverkehr gesperrt ist.
Bereits um 12 Uhr hat Aufnahmeleiterin Nicole Golks einen Zebrastreifen, wie es ihn Am Wehrbusch gibt, mit schwer entflammbaren Moltonstreifen auf die Straße geklebt. Ab 21 Uhr werfen die vermummten Feuerwehrleute bei ihrem schauspielerischen Einsatz dann „Pflastersteine“ auf das dort stehende Einsatzfahrzeug – diese sind aus Styropor und stammen aus einem Verleih für Filmrequisiten. Wie in der Silvesternacht 2023/2024 werden bei dem Dreh auch mehrere Feuerwerkskörper gezündet, wofür die Stadt vorab die Genehmigung erteilt hatte.
„Es ist schon ein mulmiges Gefühl, jetzt selber einen der Angreifer zu spielen“, sagt ein Feuerwehrmann, der namentlich nicht genannt werden will. „Mein erster Gedanke war: ,Hoffentlich erkennt man mich nicht‘.“ Darüber müssen sich die Einsatzkräfte jedoch keine Sorgen machen. Denn ihre Gesichter sind für den Dreh gut verhüllt. Sie haben ihre Flammschutzhauben mitgebracht, die sie normalerweise unter den Helmen tragen.Weil die zwei Kameraleute die Angriffe aus verschiedenen Perspektiven filmen wollen, müssen die Feuerwehrleute wieder und wieder ihren Einsatzwagen attackieren. Viele von ihnen sind insgesamt mehr als sechs Stunden am Drehort. Daher hat Aufnahmeleiterin Golks nicht nur Grillplatten vom „Bosporus Kebap Haus“ in Alt-Laatzen bestellt, sondern auch zwei Dixi-Toiletten.Um Anwohner durch die realistisch wirkenden Szenen nicht zu erschrecken, hat das Filmteam zuvor in allen umliegenden Häusern Infozettel verteilt. Zwei Security-Leute sperren das Set außerdem ab und informieren Passanten über den Dreh – auch um zu verhindern, dass etwaige couragierte Spaziergänger in die Szene eingreifen. An zwei weiteren Drehtagen wurden Ortsbrandmeister Sven Wenger – ab Dezember ist er Stadtbrandmeister – und weitere Feuerwehrleute interviewt, die bei den Silvesterkrawallen im Einsatz waren. Unter ihnen sind auch Marina Oberwelland und Jan Kasten. „Für mich war gleich klar, dass ich bei dem Dreh dabei sein möchte“, sagt Oberwelland. „Ich wollte erzählen, wie es war. Denn es ist einfach nicht in Ordnung, Rettungskräfte anzugreifen, die helfen wollen.“ Und Kasten erläutert: „Ich will deutlich machen, wie es den Betroffenen geht, denn so etwas geht nicht spurlos an einem vorbei.“
Zuvor war „Doc Caro“ mit den Feuerwehrleuten, die den Angriff erlebt hatten, im Einsatzwagen zum Wehrbusch gefahren. Dort wurden die Original-Audioaufnahmen des Angriffs abgespielt. „Dort im Einsatzwagen zu sitzen, wo es passiert ist, war für mich und die Kollegen sehr emotional“, berichtet Carola Holzner. „Mich hat sehr beängstigt zu hören, was damals passiert ist.“ Auch bei den Laatzener Feuerwehrleuten habe die Situation wieder Emotionen ausgelöst. Das zeige, dass sie den Angriff noch nicht verarbeitet haben und das Thema noch einmal aufarbeiten müssten, auch mit professioneller Hilfe.
„Wenn man in einer Situation war, in der man Todesangst hatte, geht das nicht spurlos an einem vorbei“, erklärt Holzner, die in Duisburg im Helios-Klinikum arbeitet. Sie verrät: „Ich hatte selber einmal einen Einsatz als Notärztin, nach dem ich eine posttraumatische Belastungsreaktion hatte, die ich auch nicht erkannt habe.“ Zum Glück habe es Menschen gegeben, die ihr gesagt hätten, dass sie sich dringend Hilfe holen müsse – was sie dann auch getan habe. „Ich hätte meinen Job sonst irgendwann nicht mehr ausüben können, da das Fass übergelaufen wäre.“
Geschätzte 40 Personen standen an dem fraglichen Silvesterabend 2023/2024 in einem Pulk, als die Angriffe gegen die Feuerwehr starteten. Die Polizei hatte nach einer Auswertung von Handyvideos, die auch die Attacken gegen den Mitarbeiter eines Abschleppunternehmens zeigten, diverse Beschuldigte ermittelt. Ein Heranwachsender, der einen Stein in Richtung Feuerwehrauto geworfen haben soll und nachweislic h an den Tritten und Schlägen gegen den Mitarbeiter beteiligt war, wurde im April 2024 zu einer Haftstrafe verurteilt.Die Folge der „Doc Caro“-Reihe soll im Frühjahr 2026 ausgestrahlt werden. Neben der Laatzener Feuerwehr kommen in der 90-minütigen Sendung, die an einem Mittwoch um 20.15 Uhr auf VOX gezeigt wird, unter anderem auch Rettungskräfte und Krankenpfleger aus Ravensburg zu Wort, die von Patienten angegriffen wurden.