Damals war das Stadtbad Laatzen – der Vorgänger des Aqualaatziums, das heute an gleicher Stelle steht – seit gerade einmal neun Jahren in Betrieb. „Mit wenigen Unterbrechungen war ich eigentlich immer hier“, sagt der 64-Jährige, der als Schwimmmeister in die Fußstapfen seines Vaters Albrecht Vesper getreten ist. Kürzlich verabschiedete sich nun auch Jochen Vesper in den Ruhestand – als dienstältester Bademeister Laatzens.
Eigentlich habe er Tierpfleger werden wollen, „daraus ist aber nichts geworden“, sagt Vesper. Für viele Badegäste ist das ein Glück – denn Vesper hatte für sie stets ein offenes Ohr. Einige kennt er seit mehr als 40 Jahren. „Manche erzählen ihre ganze Lebensgeschichte, es hat mir auch schon mal jemand einen Kuchen mitgebracht.“ Manch einer schütte ihm auch mal sein Herz aus. „Man ist immer auch ein bisschen Sozialarbeiter“, sagt der Rethener. „Mir hat das immer Spaß gemacht. Für mich sind sie nicht nur Gäste des Bades, das sind auch meine Gäste. Das Miteinander ist für mich das, was diesen Job ausmacht.“
Als Schwimmmeister musste er hin und wieder auch zwischen den Besucherinnen und Besuchern vermitteln. „Manche erwarten, dass man die ganze Zeit mit der Trillerpfeife rumläuft, andere wollen das Gegenteil. Man kann es nicht allen recht machen.“ Größere Probleme wie jüngst im Lister Bad in Hannover gebe es aber selten. „Anders als in manchen Freibädern gibt es bei uns kaum Ärger mit Gangs oder Prügeleien“, so Vesper. „Im Großen und Ganzen ist es hier recht entspannt.“
Aber natürlich gebe es auch mal Stress. Insbesondere jüngere Badegäste würden herumtoben oder auch mal die Rutsche sperren. „Das war früher aber auch schon so“, ein bisschen gehöre das dazu. „Die jungen Leute wollen sich halt ein bisschen die Hörner abstoßen. Die beruhigen sich aber meist wieder, wenn man mit ihnen spricht. Das ist der ganz normale Wahnsinn.“
Wichtig seien klare Regeln, „und man benötigt auch ein bisschen Fingerspitzengefühl“. Dennoch komme es vor, dass er Schwimmgäste des Bades verweisen muss. „Wenn jemand überzieht, fliegt er raus“, betont Vesper. „Wenn man es zu sehr laufen lässt, handelt man sich am Ende noch mehr Ärger ein.“ Im Zweifelsfall werde die Polizei hinzugerufen. „Das kommt immer mal wieder vor.“ Zugenommen hätten solche Vorfälle seiner Einschätzung nach aber nicht.
„Kein Tag ist wie der andere“, sagt der 64-Jährige. Besonders in Erinnerung geblieben seien ihm eher kleine Dinge. „Das größte Highlight für mich war, als ich einem Autisten das Schwimmen beigebracht habe”, berichtet er. „Es vergingen zwei Monate, bis ich überhaupt an den Jungen rangekommen bin.“ Obwohl die Ausbildung am Ende mehr als anderthalb Jahre dauerte, ließ er nicht locker. „Irgendwann hat sich zwischen uns eine ganz besondere Verbindung entwickelt.“ Als er dem Jungen dann sein Seepferdchen überreichen konnte, sei das auch für ihn ein ganz besonderer Moment gewesen. Mit der Familie stand er noch länger in Kontakt.
„Die Leute müssen einem vertrauen“, ist Vesper überzeugt. Das gelingt ihm offenbar gut. „Jochen kann eine ganz besondere Bindung zu den Menschen aufbauen“, lobt Bad-Geschäftsführer Carsten Otte seinen langjährigen Mitarbeiter. „Die Kinder lieben Jochen. Das ist eine ganz besondere Gabe.“
Wie vielen Kindern er das Seepferdchen in die Hand gedrückt hat, kann Vesper nicht sagen. Kein Wunder: Laut Otte haben seit der Eröffnung im Jahr 2001 mehr als 5000 Jungen und Mädchen das Frühschwimmer-Abzeichen im Aqualaatzium geschafft.
Ab 1979 arbeitete Vesper zunächst als Schwimmmeistergehilfe im Stadtbad. Nach einer dreijährigen Auszeit für die Bundeswehr war er ab 1985 im Lister Bad tätig, „ein Jahr später war ich aber schon wieder hier“ – kurzzeitig erst als Reinigungskraft, danach einige Jahre als Saunameister. „Ein bisschen war ich immer auch Mädchen für alles“, blickt Vesper lachend zurück.
Früher seien die Schwimmmeister nicht nur für die Badeaufsicht und die Betreuung der bädertechnischen Anlagen verantwortlich gewesen. Sie mussten auch Fliesen kleben, Hecken schneiden und Rasen mähen – und nicht nur das. „Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich früher oft zu Fuß mit einem Korb voller Sauna-Handtücher zur Wäscherei Ripphoff nach Alt-Laatzen gelaufen bin“, erzählt Vesper. Tätigkeiten wie die Anleitung von Aquafitness-Kursen waren damals noch Zukunftsmusik.
Ein einschneidendes Ereignis hat der Schwimmmeister nur aus der Ferne mitbekommen. Als das Stadtbad am 8. Juli 1996 bis auf die Grundmauern niederbrannte, befand sich Vesper gerade mit seiner Familie im Dänemark-Urlaub. Auch seine Schwester Christel, die damals im Laatzener Bad an der Kasse arbeitete, war dabei. „Wir haben den Brand in den dänischen Nachrichten verfolgt.“
Mit dem Feuer verlor Vesper seinen angestammten Arbeitsplatz, übergangsweise wurde er im Hallenbad Rethen eingesetzt. Noch vor der Eröffnung des Aqualaatziums waren die Schwimmmeister aber schon wieder in Grasdorf im Einsatz. Mit der Eröffnung ging ein deutlicher Besucheranstieg einher. „Die Zahlen sind förmlich explodiert. Die Bude war von Anfang an rappelvoll, das war für uns alle neu.“ Laut Otte hatte das Bad seit der Eröffnung mehr als 6,5 Millionen Besucher.
Vergleichbare Bäder gab es damals in der Region noch nicht. „Man kann das Aqualaatzium mit dem Stadtbad gar nicht vergleichen”, so Vesper. „Die Schwimmbäder waren sich damals alle sehr ähnlich, die Rutsche war schon das absolute Highlight. Und der Einzugsbereich war viel kleiner.“ Das Aqualaatzium habe seinerzeit eine Sonderstellung gehabt. „Ich habe hier immer gerne gearbeitet.“
Das bleibt auch so – denn ganz auf Jochen Vesper verzichten muss das Bad auch künftig nicht. „Ich arbeite als Aushilfe weiter“, verrät der 64-Jährige. Er wird also auch in Zukunft so manchem Kind das Seepferdchen in die Hand drücken und überhitzte Gemüter abkühlen dürfen.