Der 59-Jährige, geboren in Berlin, wohnt seit rund zehn Jahren in Devese und unterrichtet seit Sommer 2022 an der KGS Hemmingen Physik und Informatik, vornehmlich im Gymnasial-, aber auch im Realschulzweig. „Eigentlich wollte ich auch gern Mathematik unterrichten. Aber das hat das Kultusministerium untersagt, weil ich angeblich zu wenig Mathematik im Studium gehabt habe“, sagt Seliger mit einem Schmunzeln. Zuvor war er als studierter Physiker und promovierter Maschinenbauer weltweit für Einrichtungen und Unternehmen tätig.
Trotz seiner beruflichen Qualifikationen und internationalen Erfahrungen musste Seliger „über 100 Seiten“ an Dokumenten beibringen und ausfüllen, um in Deutschland auf die gewünschte Lehrtätigkeit für Schulkinder wechseln zu können. „Man sagte mir damals sinngemäß, dass ich zwar über 35 Jahre Berufserfahrung verfüge, aber über null Jahre Arbeitserfahrung“, erzählt er. Doch mit dem Befolgen bürokratischer Anforderungen war es noch nicht getan: Seliger musste sozusagen noch einmal eine Lehrerausbildung im Schnelldurchlauf absolvieren.
Dazu gehörten 18 Monate im Studienseminar mit jeweils einem Vormittag in der Woche pädagogischer und einem Nachmittag fachdidaktischer Fortbildung. Hinzu kamen während der „Ausbildungszeit“ eine Reihe von Unterrichtsbesuchen durch die Seminarausbilder und durch die Schulleitung. Zusätzlich musste Seliger im Fach Informatik nachstudieren – er absolvierte einige Kurse an der Fernuni Hagen im Masterstudiengang –, da er im Studium laut Regionalem Landesamt für Schule und Bildung einige Aspekte nicht ausreichend abgedeckt hatte. „Das war schon sehr aufwendig“, erinnert er sich. „Man steigt dort in sehr anspruchsvolle Themen hoch ein, muss mehrere Unikurse neben dem Job und dem Seminar machen und dann auch noch Klausuren schreiben und bestehen.“ Doch es lief alles bestens: Mit einem Notenschnitt von 1,15 brachte Seliger diese Zeit hinter sich. „Lässt sich sehen, über 30 Jahr nach Studienende“, meint er schmunzelnd.
Und was hat nun den Reiz ausgemacht, das alles auf sich zu nehmen und von einer internationalen Führungskraft zur Lehrkraft zu werden? „Meine Kinder waren aus der Schule, das Haus war abbezahlt und meine Scheidung durch. Dann kann man auch mit weniger Geld auskommen“, sagt Seliger. 22-mal sei er in seinem Leben umgezogen, bevor es ihn 2014 familiär nach Devese verschlug. Zuvor war er mehr als 200 Tage im Jahr beruflich unterwegs und hatte nur in Hotels übernachtet statt daheim.
Die Corona-Pandemie änderte diese hektischen Abläufe. Seliger blieb häufiger zu Hause, genoss die Ruhephase und las eines Tages in der Tageszeitung vom wachsenden Lehrermangel. Er informierte sich über einen Quereinstieg, bewarb sich – und erhielt schnell die Stelle an der Hemminger KGS. „Um Physiklehrer kloppen sich die Schulen, die werden händeringend gesucht.“ Im Vergleich zu seinen früheren Einkünften sei seine jetzige Tätigkeit eher als ein „Ehrenamt mit Aufwandsentschädigung“ zu betrachten, so der 59-Jährige.
Motiviert sei er dennoch, sagt Seliger – für ihn sei es die richtige Entscheidung gewesen: Der Unterricht mache fachlich ebenso Spaß wie die Arbeit mit den Schülern. „Ich fahre jetzt in nur zehn Minuten mit dem Fahrrad zur Schule und kann selbstbestimmt arbeiten. Den Luxus dieser Nähe war ich in meiner früheren Arbeitswelt nicht gewohnt“, betont der Physiker und Maschinenbauer, der dank seiner Berufspilotenlizenz auch schon als Buschpilot aktiv war. Dass Lehrer nur wenig Unterricht und viel Freizeit hätten, kann er nicht bestätigen: Zu Seligers etwa 24 Unterrichtstunden kommen noch ungefähr ebenso viele zur Vor- und Nachbereitung. Einige Arbeitstage am Schreibtisch gehen da schon mal „von sieben bis sieben“.
Die Resonanz seiner Schüler auf den Unterricht sei positiv. Das gelte auch für das Kollegium: „Die Kollegen schätzen die breite Erfahrung, die ich mitbringe.“ In allen Jahrgängen und Zweigen gebe es jedoch leider oft Schwächen im Bereich Mathematik.
„Ich kann mir vorstellen, das hier jetzt beruflich – so lange wie es geht – in Hemmingen zu machen. Bis zur Rente“, sagt der 59-Jährige. Nur ein Pädagoge wird der Deveser auf seine letzten Berufsjahre wohl nicht mehr. „Meine Kollegen und ich ergänzen uns. Ich bringe praktische Lebenserfahrung mit, über die sie teilweise nicht verfügen. Ich halte mich aber nicht für einen begnadeten Pädagogen oder Psychologen bei sozialen Konflikten. Dafür kann ich da dann auf Unterstützung und Hilfe durch meine Kollegen vertrauen.“