Herbst ist, wenn die Zeiten draußen härter und die Menschen drinnen weicher werden. Herbst ist, wenn einen diese schweflige Bettschwere überkommt. Der Österreicher spricht von „Fadesse“. Fadesse ist der Zustand kraftloser Bettreife wenige Sekunden nach dem Aufstehen, wenn einen nur die jahrelange Gewohnheit und ein unvermuteter Restwille in die Lage versetzen, eine Hose anzuziehen.
Herbst ist Rückzug. Die Pflanzensäfte ziehen sich zurück in Stämme und Wurzeln, das Laub beginnt zu welken. Die Menschen ziehen sich zurück in Betten und Kneipen, die Seele beginnt zu welken. Tun wir etwas dagegen! Ich liebe den Herbst. Endlich ist dieser Zwang weg, sich stimmungsmäßig des Sonnenscheins als würdig zu erweisen. Frühling kann jeder! Die Kunst ist es, im Herbst stabil zu bleiben. Hier kommen Tipps für spätes Glück im Jahr:
■Die Idee der Natur, einmal pro Jahr alle Blätter bunt einzufärben und dann von den Bäumen zu pusten, ist genial. Da muss man schon ein bisschen angeschädelt sein, um sich so etwas Putziges auszudenken. Herbstlaub ist wie Feuerwerk in Ultrazeitlupe. Das Konfetti der Natur! Genießen Sie das Spektakel. Und gegen Laubpuster morgens um halb sieben hilft Ohropax.
■Natürlich: Drinnen ist es schön. Mein Körper braucht kein Sonnenlicht. Ich arbeite nicht mit Photosynthese, ich arbeite mit Steak und Pommes. Es ist besser, sich innen aufzuhalten, als nutzlos im Garten herumzustehen wie J.D. Vance in einem amerikanischen Schnellimbiss. Aber selbst trübes Regentageslicht wirkt gegen Stimmungstiefs besser als jede Lampe. Schlechtes Wetter sieht durch Fenster betrachtet immer schlimmer aus, als es tatsächlich ist. Gehen Sie raus, atmen Sie tief durch. Und klagen Sie nicht über das ewige Thema Wetter. „Die Menschheit wird niemals Frieden finden, bis jeder sein eigenes Wetter mit sich herumträgt“, schrieb Jerome K. Jerome. Leider wahr.
■Die Zugvögel machen sich auf nach Süden. Fliegend natürlich, nicht mit der Bahn. Der Name täuscht. Wenn Zugvögel mit der Bahn führen, hätten sie spätestens an der Schweizer Grenze ein Problem. Betrachten Sie die Formationen am Himmel. Schicken Sie ihnen Ihre Gedanken hinterher. Welcher Vogel möchten Sie sein? Es ist in Ordnung, nicht immer der Leitvogel sein zu wollen. Die Welt braucht auch glückliche Folgevögel.
■ Tipp 4: Bewegung suchenBewegung schüttet Endorphine aus. Endorphine sind im Körper, was der Honig im Tee ist. Schon einfache Yogafiguren helfen – wie etwa „Das zerschlagene Flusspferd“ oder „Der schwankende Kugelfisch“. Das geht auch im Freien.
■Durchsage neulich im Supermarkt: „Mal bitte sechs Liter Doornkaat aus dem Lager!“ Sechs Liter? Mein erster Gedanke war: „Wer trifft sich da wohl? Das Bundeskabinett? Der Volkswagen-Aufsichtsrat? Die SPD Sachsen-Anhalt?“ Gönnen Sie sich, was Sie gern essen oder trinken. Besonders wichtig im Herbst: Vitamin D, Omega-3-Fettsäure, B-Vitamine. Perfektes Herbstessen: Matjes mit Kartoffeln, Kräuterquark und Leinöl. Zur Not geht auch Toffifee.
■Zu den wenigen Segnungen der düsteren Jahreszeit gehört, dass die Hässlichkeit so manchen Dorfes dem gnädigen Deckmantel der Dunkelheit überantwortet bleibt. Früher wurden deutsche Dörfer nächtens von lilafarbenem Grünpflanzenlicht erhellt. Das sah aus, als sei jedes dritte Haus eine insolvente Schlachterei. Heute werden vor allem im Innenbereich millionenfach LED-Streifen ausgerollt, als rechne man jederzeit damit, dass im Flur ein Airbus landet. Gut so! Lumen, Watt und Kelvin sind meine Freunde. LEDs sind das Methadonprogramm für Pyromanen.
■Irgendwann wird es wieder hell. Seien Sie vorbereitet. Entwickeln Sie Ausflugs- und Reisepläne. Lassen Sie sich vom Kopfkino auf die Insel der Vorfreude schicken.
■ Tipp 9:Lesen Sie sich ins Glück der Erkenntnis! Schauen Sie Liebeskomödien! Und hören Sie mal wieder bewusst Musik. Hier kommt eine Herbst-Playlist abseits der Charts: „Fresenhof“ (Knut Kiesewetter), „Herbstlied“ (David Lübke), „Fields Of Gold“ (Sting), „Running On Empty“ (Jackson Brown), „Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin“ (Element of Crime), „Winter Winds“ (Mumford & Sons), „Girl From The North Country“ (Bob Dylan & Johnny Cash), „Ride On“ (Christie Moore), „Golden Heart“ (Mark Knopfler), „Land Unter“ (Herbert Grönemeyer).
■ Tipp 10:„Drei Dinge helfen, die Mühseligkeiten des Lebens zu tragen“, soll Immanuel Kant notiert haben – „die Hoffnung, der Schlaf und das Lachen“. Vielleicht war es aber auch Albert Einstein. Oder Hulk Hogan. Das Internet tendiert hier uneinheitlich. Halten Sie sich nicht mit Kleinigkeiten auf. Schlafen Sie. Schönen Herbst!
Manchmal verbirgt sich hinter dem Euphemismus „Herbstblues“ nur eine harmlose Stimmungsschwankung, manchmal aber auch ein echtes klinisches Tief. Depressionen sind behandelbar. Lassen Sie sich helfen. Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe bietet unter (0800) 3344533 ein Hilfetelefon (Montag, Dienstag, Donnerstag: 13 bis 17 Uhr. Mittwoch und Freitag: 8.30 bis 12.30 Uhr). Auch die Telefonseelsorge Deutschland bietet Unterstützung an – rund um die Uhr unter (0800) 1110111 oder (0800) 11110222 oder 116123.