Doch nun hat auch das Babykörbchen ein Problem: Es zieht raus aus der City, und der diakonische Trägerverein Notruf Mirjam weiß noch nicht, wann. Das ist aber wichtig für deren Zielgruppe, also die Mütter, die zu viele Probleme haben, um ihr Kind versorgen zu können. Und sich dazu gezwungen sehen, es nach der heimlichen Geburt anonym abzugeben.
Aber von vorn: Seit einem Vierteljahrhundert gibt es sie, die sogenannten Babyklappen, in denen ungewollte Säuglinge anonym und sicher abgelegt werden können. Die erste wurde in Hamburg-Altona installiert. Seit 24 Jahren steht das Babykörbchen in Hannover, sehr zentral im Friederikenstift, zur Rettung der Kinder zur Verfügung. Sobald dort ein Säugling ins Wärmebett in der Klappe gelegt wurde, werden helfende Hände alarmiert, wird das Kind versorgt. Und der Notruf Mirjam informiert, der sofort Kontakt zum Jugendamt und der Evangelischen Adoptionsvermittlungsstelle in Düsseldorf aufnimmt.
Rohde erlebte dies in ihrer Zeit 15-mal. Insgesamt aber wurden 14 Jungen und zehn Mädchen in den 24 Jahren hier nachts oder frühmorgens in aller Anonymität hergebracht. Ein Kind lag tot vor dem Babykörbchen. Alle anderen überlebten, „haben in Adoptivfamilien gute Zukunftschancen bekommen“, sagt eine Mitarbeiterin der Adoptionsstelle. „Das letzte Kind im Jahr 2024.“
Nur wenige hatten einen Schnuller oder einen Zettel mit handschriftlich bekritzelten Notizen dabei, nur in vier Fällen meldeten sich die Mütter später wieder. Ein Baby durfte zurück in die Herkunftsfamilie. Sie habe sich sehr gefreut über die Eltern, die ihr Kind zurückgeholt haben „und glücklich waren, dass es bis dahin gut aufgehoben war“, erinnert sich die Initiatorin des Babykörbchens, Ex-Bischöfin Margot Käßmann.
Namenlos sollen die Kinder nicht bleiben, die Mädchen werden erst einmal Mirjam, die Jungen Mose genannt. Erst zur Adoption erhalten sie dann ihre Namen, die sie ihr Leben lang begleiten werden. Die Mirjams und Moses werden, sobald sie ins Babykörbchen gelegt werden, in einer eingespielten Kette versorgt.
Eigentlich: Bis zum vergangenen Sommer kümmerten sich Hebammen und Kinderkrankenschwestern aus dem Friederikenstift erst einmal um die Findlinge, bis sie ins Krankenhaus auf der Bult kamen. Eine Babyklappe muss in Niedersachsen an ein Krankenhaus angeschlossen sein. Doch die Friederike-Geburtsstation zog in die Geburtsklinik des Henriettenstifts in Kirchrode, weil sie wie alle Diakovere-Fachabteilungen für Gebärende in die Geburtshilfeklinik „Henrike“ am Kinderkrankenhaus Auf der Bult zusammengelegt werden. Doch der Neubau der Henrike verzögert sich.
Deswegen ist das Babykörbchen zurzeit an der Notaufnahme des Friederikenstifts angedockt. Etwas, das Rohde und ihre ehrenamtliche Mitkoordinatorin Bettina Wulff umtreibt, denn Notaufnahmen sind bekanntermaßen ohnehin überlastet. Die Ehefrau von Ex-Bundespräsident Christian Wulff ist auch nicht glücklich über den neuen Ort des Körbchens: „Für mögliche Fälle finden wir das nicht so besonders günstig, denn das Friederikenstift liegt zentraler.“ Verzweifelte Mütter bräuchten niedrigschwellige Angebote, dazu gehöre auch ein gut erreichbarer Ort. Aber die Zusammenlegung der Geburtsstationen der Diakovere sei der wirtschaftlichen Lage geschuldet, „wir können da nichts ändern, wurden auch nicht gefragt“.
Die Mitarbeiterinnen des Notrufs Mirjam hoffen, dass das Babykörbchen nun wenigstens im Sommer umziehen kann. „Der Neubau zieht und zieht sich. Wir wissen nicht, wann wir anfangen können, den neuen Standort für die Zielgruppe zu kommunizieren“, sagt Wulff, die zusätzlich zu ihrer ehrenamtlichen Arbeit am Notruftelefon seit sechs Jahren in Teilzeit für die Öffentlichkeitsarbeit und das Fundraising zuständig ist.
Dabei werden solche Einrichtungen wie die Babyklappen oder -körbchen weiterhin sehr notwendig sein, sagt auch Margot Käßmann gegenüber dieser Zeitung. Mit Blick auf die von Krisen und nahen Kriegen geschüttelte Gesellschaft macht sie auf eine sinkende Geburtenrate aufmerksam. „Wir sind keine kinderfreundliche und auch keine familienfreundliche Gesellschaft. Und deshalb wird Notfallhilfe noch wichtiger sein.“
Sie sei überzeugt, das Netzwerk und der Notruf Mirjam werden noch viel mehr gebraucht werden in der Zukunft. Denn: „Wir sehen, dass alleinerziehende Mütter immer noch und weiter besonders betroffen sind von Armut. Das gilt auch für Familien mit vielen Kindern. Wenn Friedrich Merz gegen das Bürgergeld schimpft, sollte er bedenken, dass viele Bürgergeldempfänger eben auch Kinder in solchen Situationen sind. Das sind nicht immer nur Erwachsene, die angeblich nicht arbeiten wollen.“
Die damalige Bischöfin Käßmann war es auch, die den am 3. Januar 2008 vor dem Babykörbchen gefundenen toten Jungen verabschiedete. Bis heute ist nicht geklärt, ob der Mechanismus versagte, die Mutter in Panik geraten war oder der Säugling schon tot war, als er abgelegt wurde.
Etwas, das Käßmann bis heute umtreibt. „Das war und bleibt für mich ein ganz furchtbares Erlebnis“, sagt sie heute. Sie habe persönlich den Sarg für den kleinen Jungen Mose besorgt, hat ihn begleitet „zur würdevollen Bestattung im Kindergrabfeld“ in Hannover-Stöcken. „Mich hat aber auch bewegt, dass die Kapelle bei der Trauerfeier im Friederikenstift überfüllt war und ganz viele Menschen mitgekommen sind zum Friedhof in Stöcken. Die Eltern haben dieses Kind allein eingelassen. Wir haben ihm einen Namen gegeben und ihn begleitet.“