Einen Hut muss man hinterher durchwerfen können, ohne dass er hängenbleibt – das ist die landläufig bekannteste Regel zum Obstbäumeschneiden. Bei Birne, Quitte und Pflaume nimmt man den jährlichen Schnitt am besten vor, wenn keine stärkeren Fröste mehr zu befürchten sind, Süß- und Sauerkirsche werden nach der Ernte geschnitten.
Für den Apfelbaum aber, in deutschen Gärten der meistvertretene Obstbaum, ist genau jetzt der richtige Zeitpunkt zum Schneiden. Zwischen Dezember und März bringt ein Schnitt den Baum in Form und sorgt für einen besseren Ertrag im Sommer.
Thomas Stier ist Ausbildungsleiter beim Institut für Züchtungsforschung an Obst in Dresden-Pillnitz. „Kronengestaltung“ nennt er den Baumschnitt – und die „dient der Entwicklung von Fruchtästen für einen hohen, regelmäßigen Ertrag und eine gute Fruchtqualität“, erklärt der Gartenbautechniker.
Die Bauernregel mit dem Hut kennt Stier schon von seinem Großvater, und sie stimmt: Ein guter Schnitt ermögliche eine bessere Luftzirkulation in der Baumkrone, die Feuchtigkeit und damit Krankheiten wie Schorf vorbeuge. Das mache die Baumkronen lichtdurchlässiger, damit alle Früchte gleichmäßig reifen und die richtige Farbe erreichen.
Auch den natürlichen Schwankungen im Obstbaumertrag, durch die Bäume in manchen Jahren gar keine Früchte tragen, wirke ein jährlicher Schnitt entgegen. Zu guter Letzt können Obstbaumbesitzer und Obstbaumbesitzerinnen ihrem Baum durchs Schneiden eine Form geben – und ihn so ästhetischer und erntefreundlicher gestalten.Deshalb ist auch der erste Schritt zum Schnitt eine gedachte Form für den Baum. Für Hobbygärtner und Hobbygärtnerinnen ist das Stier zufolge am besten eine Pyramide: Von einem dominanten Mitteltrieb gehen Äste aus, die von unten nach oben immer kürzer werden. Denn steht die gedachte Pyramide auf der Spitze, die Fachleute nennen das „Überbauung“, kommt es zu kleinen Schattenfrüchten.
„Wenn man einen Baum falsch schneidet, kann man ihm richtig schaden“, sagt Stier. Zunächst darf es beim Schnitt oder kurz danach nicht kälter sein als minus fünf Grad Celsius. Als Werkzeug braucht es eine gute, geschärfte Gartenschere – die, um Krankheitsübertragungen zu minimieren, regelmäßig desinfiziert wird. Für Hochstämme, deren erste Verzweigung über einer Höhe von 1,8 Metern beginnt, werden die meisten eine Leiter benötigen – die kleineren „Spindeln“ kann man oft vom Boden aus schneiden.
Stier erklärt: Vom Stamm eines Apfelbaums gehen Gerüstäste aus, auf denen dann das Fruchtholz wächst. Ein Ziel beim Schneiden sei es, möglichst viel waagerechtes Fruchtholz zu kreieren. Denn: „Auf waagerechtem Holz wachsen die meisten Blüten und damit später die meisten Äpfel.“
Senkrechte Triebe, die eine Konkurrenz zur Mitte der gedachten Pyramide darstellen, kommen daher weg, ebenso Triebe, die offensichtlich keinen Platz haben werden, sich zu entwickeln. Totholz wird entfernt; Triebe, die direkt aus dem Stamm kommen, vereinzelt.
An Gabelungen, die oft am Astende entstehen, entscheidet man sich für einen der beiden Triebe, auf den der Baum seine Energie konzentrieren soll, und kappt den jeweils anderen. „Ableiten“ nennen Fachleute das. Stehen bleibt der Ast, dessen Richtung am besten in die Form passt – und der eben möglichst waagerecht ist. Zwei- bis dreijähriges Holz fruchtet am meisten, diese Äste also bestenfalls stehen lassen.
Bei der Entscheidung, wo ein Ast gekappt wird – übrigens nie mit schrägen, sondern immer mit geraden und möglichst sauberen Schnitten – orientiert man sich an den Blattknospen, die darauf sitzen und aus denen später neue Triebe wachsen. Weil der äußerste Trieb immer am stärksten wächst, schneidet man den Ast am besten direkt hinter einer Knospe, die in eine günstige Richtung zeigt. Also nach außen, denn im Inneren der Krone soll es ja luftig bleiben.
Übrigens wächst ein Trieb umso mehr, je weiter oben er sich im Baum befindet. Deshalb sollte man die oberen Äste etwas stärker schneiden – solche Wachstumsgesetze zu kennen, sei beim Baumschnitt der Schlüssel zum Erfolg, erklärt Stier.
Am Ende eines guten Schnitts steht ein Apfelbaum, durch dessen Äste man den besagten Hut werfen kann, der in seiner Umgebung nicht zu viel Platz wegnimmt und bei dem durch die Pyramidenform alle Früchte gleich viel Licht abbekommen.
„Je stärker der Schnitt ist, desto stärker der Austrieb im nächsten Jahr“, erklärt Stier. Ein starker Schnitt sorge für einen geringeren Ertrag, habe aber dafür größere Früchte als Ergebnis. Oft reagiere der Baum zudem mit Wasserschossern, senkrechten Trieben direkt aus dem Holz, die im Frühsommer entfernt werden sollten.
„Bei einem schwachen Schnitt wird der Baum nicht so sehr gekitzelt. Er hat einen höheren Ertrag, da kann ein Baum schon mal statt 100 plötzlich 150 Äpfel tragen, die dafür aber kleiner sind“, so Stier. Dem könne man mit guter Pflege, Dünger und Wasser entgegenwirken.
Ab dem 1. März und bis zum 1. Oktober – in manchen Kommunen variieren die Daten – dürfen Gärtnerinnen und Gärtner keine größeren Eingriffe an Bäumen und Hecken mehr vornehmen. Das dient zum Schutz von Vögeln, die zwischen den Ästen brüten. Auch andere Wildtiere und nützliche Insekten sollen nicht mehr gestört werden.