Muss es doch, meint Tim Böhme, Trainer beim deutschen Radsportverband: „Rennfahrer werden im Winter gemacht. Wer das Rad ein halbes Jahr in die Ecke stellt, hat schon verloren.“ Was für Profis gelte, sollten auch Hobbysportlerinnen und Freizeitradler beherzigen. Außerdem sei Radfahren im Winter gut für die Gesundheit, weil die Bewegung an der frischen Luft das Immunsystem stärke, so Böhme weiter. Auch das psychische Wohlbefinden profitiere. Damit die Ausfahrten sicher sind und Spaß machen, sollten einige Aspekte beachtet werden:
„Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung“, sagt Böhme. Er empfiehlt das Zwiebelschalenprinzip. Das heißt: Mehrere Schichten werden übereinander gezogen, die teilweise abgelegt werden können, wenn es zu warm wird. Am Körper sollte Funktionswäsche getragen werden. Wichtig ist, dass die Materialien atmungsaktiv sind und Feuchtigkeit abtransportieren, weil ansonsten die Gefahr besteht, nach starkem Schwitzen auszukühlen. Die äußerste Schicht sollte Regenwasser abhalten. Bei viel Nässe kann eine Regenhose getragen werden. Vor allem aber sollte der Oberkörper warmgehalten werden, betont Böhme: „Denn oben ist nichts in Bewegung.“
Auch auf die Extremitäten ist besonders zu achten. Denn wenn die Füße oder Hände erst einmal ausgekühlt sind, werden sie so schnell nicht wieder warm. Hochwertige Handschuhe sind für die meisten Radfahrerinnen und Radfahrer deshalb ein Muss. Zu empfehlen seien gefütterte Produkte mit nur drei Fingern, sogenannte Hummerfäustlinge, sagt Thomas Geisler vom Pressedienst Fahrrad (pd-f): „Man hat damit zwar etwas weniger Gefühl, aber das ist immer noch besser als kalte Finger zu bekommen, in denen man überhaupt kein Gefühl mehr hat.“
Für die Füße gibt es spezielle Winterschuhe mit hohem Schaft sowie Neoprenüberzieher, die Wind und Feuchtigkeit abhalten. Bei großer Kälte können beheizbare Innensohlen getragen werden. Den Hals schützen multifunktionale Schlauchtücher, sogenannte Buffs, die auch übers Gesicht gezogen werden können. Unter den Helm passt eine dünne Mütze. Nach einer längeren Pause ist es angenehm, frische und trockene Handschuhe, Tücher und Mützen anziehen zu können, die in den Taschen des Fahrradtrikots mitgeführt werden. Alternativ bieten sich ein kleiner Rucksack oder eine Fahrradtasche an.
Helle, reflektierende Kleidung erhöht die Sicherheit. „Das Thema Sichtbarkeit ist nicht zu unterschätzen“, unterstreicht Böhme. Das trifft insbesondere auf den Helm zu, weil er der höchste Punkt ist. Auch Warnwesten mit Reflektoren besitzen Signalwirkung.
Viele Rennradfahrerinnen und -fahrer steigen spätestens im Winter auf Gravelbikes oder Cyclecrosser um: Diese fahren sich ähnlich wie Rennräder, besitzen aber etwas breitere Reifen mit mehr Profil und meist eine weniger sportliche Radgeometrie. Damit lässt es sich gut über nicht asphaltierte Nebenwege fahren. Für anspruchsvolles Gelände sind vor allem Mountainbikes geeignet. Sie verfügen in der Regel über Federungen, eine große Auswahl an Gängen und vergleichsweise kleine Rahmen, die eine hohe Wendigkeit ermöglichen. „Sie sind eine gute Wahl. Der Komfort ist groß“, sagt Böhme.
Um sicher unterwegs zu sein, sollten möglichst breite Reifen aufgezogen werden, die mit weniger Luftdruck gefahren werden können, erklärt Geisler: „Das erhöht die Auflagefläche und somit den Grip.“ Guter Pannenschutz empfiehlt sich auf Wegen mit Schotter oder kleinen Steinen. Für Schnee und Eis sind Reifen mit Spikes im Angebot.
Ein starkes Licht vorn und hinten ist selbst dann empfehlenswert, wenn es noch hell ist. Denn Radfahrende werden damit von anderen Verkehrsteilnehmenden besser wahrgenommen. Oft werden Anstecklichter mit Akkus verwendet. Diese sollten eine Zulassung vom Kraftfahrbundesamt besitzen, erklärt Geisler. Im Gelände könnten auch Helmlampen nützlich sein. Grundsätzlich sinnvoll seien Reflektoren, zum Beispiel am Sattel.
„Pflege ist im Winter wichtiger als im Sommer. Vor allem versalzene Straßen sind Gift für das Rad“, betont Böhme. In der Regel empfiehlt es sich, den Antrieb zu reinigen und die Kette zu ölen, wenn sie trocken gelaufen ist. Auch andere bewegliche Teile sollten regelmäßig geschmiert werden. Federelemente werden möglichst gesäubert und Bremsbeläge kontrolliert. Das Rad sollte von Schneematsch und Feuchtigkeit befreit werden, um Rost vorzubeugen. Eine Wachspolitur des Rahmens schützt vor Schäden durch Streusalz.
Böhme rät außerdem zu Schutzblechen: „Es ist eklig, von allen Seiten nass zu werden“, meint er. Fürs MTB böten sich breite Schutzbleche an, die möglichst eng anliegen, ergänzt Geisler. Für Gravelbikes gebe es Produkte, die sich verlängern ließen, damit möglichst wenig Spritzwasser hochwirbele. Schutzbleche werden fest montiert oder angeklickt.
„Die Bedingungen sind anders im Winter. Bei Nässe und Glätte sollte vorsichtiger gefahren werden“, sagt Böhme. Gefahr lauert auch bei Rollsplit sowie nassem Laub auf Straßen und Wegen, das extrem rutschig ist. Auf Waldwegen können sich darunter zum Beispiel Wurzeln verbergen. Vorsicht ist vor allem in Kurven und bei plötzlichen Lenkbewegungen geboten.
Bei schwierigen Verhältnissen sollte besonders vorausschauend gefahren und das Tempo reduziert werden. Geisler weist darauf hin, dass sich bei Nässe oft die Bremswege verlängerten. Deshalb sollte maßvoll gebremst werden. Vollbremsungen gelte es zu vermeiden. „Besser ist es, das Fahrrad ausrollen zu lassen.“ Er empfiehlt, den Sattel ein wenig herunterzustellen, damit der Fuß bei Bedarf gut auf den Boden kommt. Auf Klickpedale sollte eventuell verzichtet werden, „weil man sich schnell mit dem Fuß ausbalancieren muss, wenn es glatt wird“, erklärt Geisler.
Im Winter sollte vor allem die Grundlagenausdauer trainiert werden. Das heißt, es empfehlen sich lange Touren mit nicht allzu hohem Puls. Damit werde auch die Fettverbrennung angeregt, sagt Böhme. Bei der Streckenplanung sollten lange Anstiege und Abfahrten vermieden werden, damit die Fahrerin oder der Fahrer nicht stark ins Schwitzen kommt und anschließend auskühlt. „Lieber sollte welliges Terrain mit kurzen An- und Abstiegen gewählt werden“, so der Radsporttrainer. Für intensives Wintertraining im Freien empfiehlt Böhme MTBs: „Sie sind zwar nicht so schnell, aber anstrengender zu fahren.Bei sehr niedrigen Temperaturen sollte die Belastung allerdings nicht zu groß sein, weil die Atemwege verengen können. Möglichst wird dann durch die Nase geatmet, weil die Luft dabei angefeuchtet und erwärmt wird. Wichtig sei es zudem, viel zu essen, rät Böhme. Denn bei Kälte werde mehr Energie als an warmen Tagen benötigt. Außerdem sollte regelmäßig getrunken werden, weil über die Atmung viel Flüssigkeit verloren geht. Wohltuend seien warme Getränke in einem Thermosbehälter, ergänzt Geisler: „Außerdem bietet sich ein Rucksack mit Trinksystem an, weil darin die Flüssigkeit wärmer bleibt als in einer Radflasche am Rad.“