Flögel schult die Beschäftigten von Unternehmenskunden. Denn in der Mitte des Messegeländes, zwischen den Hallen 16 und 26, verbirgt sich ein Lernort, der mit Events und Konzerten nichts zu tun hat. In Pavillon 36 (P36) stehen Industrieroboter – kleine Tischroboter wie der von Yaskawa, große mit langen Armen, bereit, einen Reifen an einen VW Golf zu montieren. „Deutsche Messe Technology Academy“ steht außen an dem Glasgebäude, und „Volkswagen Campus Digitalisierung“.
Die Technology Academy ist 2008 im Nachgang der Industriemesse entstanden. Bei jener Schau hatte es in Zusammenarbeit mit dem Volkswagen-Konzern an einem Messestand kurze Robotation-Workshops für die Messebesucher gegeben. Das lief so gut, dass die Veranstalter sich überlegten, eine eigene Plattform für Robotertechnik zu schaffen. Sie soll Unternehmen vom Mittelstand bis zum Konzern herstellerübergreifend über Automatisierung informieren.
Seitdem ist die Academy erheblich gewachsen. Partner der Messe sind namhafte Roboterhersteller wie Kuka (Bayern), Yaskawa (Japan) und Stäubli (Schweiz) sowie bereits automatisierte Unternehmen wie Lenze (Niedersachsen), Rittal (Hessen), Harting und Phoenix Contact aus Nordrhein-Westfalen.
Die Auszubildenden der VW Group Academy in Hannover kommen turnusmäßig in ihrem zweiten Ausbildungsjahr zur Roboterschulung. Yaskawa hat sogar seinen norddeutschen Schulungsstandort auf das Messegelände verlegt. Die Betriebe nutzen die 3800 Quadratmeter in P36 vor allem dafür, eigene Kunden an den Robotern einzuarbeiten. Außerdem gibt es Netzwerkveranstaltungen wie den Robotics Experience Day mit mehr als 100 Teilnehmenden, die bei Praxisworkshops miteinander ins Gespräch kommen.
Für die Deutsche Messe ist die Academy eine weitere Einnahmequelle, die unabhängig vom ohnehin schwankenden Messegeschäft besteht. Wer als Hersteller einen Platz im Pavillon mieten will, muss eine Grundgebühr sowie 450 Euro pro Quadratmeter zahlen. Auch für externe Veranstaltungen kann das Areal im Erdgeschoss gemietet werden; so hielt etwa die Gewerkschaft IG Metall während der Hannover Messe 2024 ihren bezirklichen Automobiltag in P36 ab.
Für Arne Flögel ist der Pavillon zum dauerhaften Arbeitsort geworden. Sein Arbeitgeber Yaskawa hat sein Europa-Hauptquartier in Hattersheim bei Frankfurt und bietet mit Hannover eine dezentrale Trainingsmöglichkeit an. Die Kunden der Japaner haben bereits zu 95 Prozent Roboter im Betrieb eingesetzt. Bei Flögel werden alle Beschäftigten geschult, die mit den technischen Prozessen zu tun haben – vom Produktionsarbeiter bis zur Ingenieurin. „Wenn Sie ein neues Auto kaufen wollen, machen Sie ja auch erst mal eine Probetour“, sagt Flögel und zeigt auf die Roboter. „Wir sind hier das Autohaus, und das ist die Probefahrt.“
Unterschiedliche Typen von Geräten können in den mehrtägigen Schulungen ausprobiert werden, mit acht Teilnehmenden pro Kurs ist die Gruppe klein. Einen technischen Hintergrund muss man nicht zwingend mitbringen, um die Roboter steuern zu lernen. „Am schwierigsten ist das dreidimensionale Denken, erklärt Flögel, denn die künstlichen Arbeiter operieren in einem Koordinatensystem.
Für VW wiederum ist P36 ein eigener Campus. Alle drei Monate kommen bis zu 40 Auszubildende des Autokonzerns aus Stöcken auf die Messe, begleitet von zwei Trainern. Matteo Canistro koordiniert die Aktivitäten. Er sagt über die Eröffnung im November 2017, man habe junge Menschen anders ausbilden, eigenständiges Lernen und die Persönlichkeitsentwicklung fördern wollen.
Die Azubis, angehende Mechatroniker und Elektroniker, arbeiten in Projekten. Sie definieren die nötigen Arbeitsschritte, müssen ihren Tag planen, sich Ziele setzen und abends reflektieren, ob die Planung gepasst hat. „Die jungen Leute sind noch von der Schule konditioniert, wir dagegen wollen weg von Vorgaben und hin dazu, den Arbeitsalltag selbst zu gestalten“, sagt Canistro.
Die Azubis arbeiten teils allein, teils beugen sie sich zu zweit hoch konzentriert über einen Roboter. Letztens habe ein Team einem Roboter beigebracht, „Tic Tac Toe“ zu spielen, erzählt Canistro. Das sei beim Roboterhersteller so gut angekommen, dass die jungen Menschen ihre Arbeit selbst vor Kunden präsentieren durften.