Seine Haare sind immer noch lang und schwarz, wobei die Natürlichkeit der Farbe angezweifelt werden darf. Um sein Alter macht er ein Geheimnis. „Ich bin DJ und Entertainer“, sagt Roger Lang, der Ende der Siebzigerjahre Hannovers Musikszene seinen Stempel aufgedrückt haben dürfte. Wer „Tiefenrausch“ aufblättert, bleibt hängen bei Bildern von Lang, die ein wenig an den früh verstorbenen Doors-Frontman Jim Morrison (†27) erinnern – dunkle Locken, breites Lachen, tief aufgeknöpftes Hemd. „Wir haben gut ausgesehen, hatten coole Sprüche drauf, der Laden war jeden Abend proppenvoll“, erzählt Lang von sich, Hannes, Hummel und dem „Sugar“ und lässt einen seligen Seufzer folgen.
Am 20. November 1978 öffnete der Club, weil Lang und sein Kumpel Hannes keine Lust mehr auf ihre Taxiunternehmen hatten. „Ich habe erst mit 24 das Abitur auf dem Wirtschaftsgymnasium nachgeholt. Ich wollte etwas machen, das Spaß bringt“, erinnert sich Lang. In der Herschelstraße („Da wo heute das Parkhaus der Ernst-August-Galerie steht“) übernahmen sie eine Kellerdisco, bauten sie um. Und sorgten für Furore.
Eine Bar in Blau, verspiegelte Wände, eine Projektionswand, auf der Dias von Gästen des vergangenen Wochenendes zu sehen waren. „Das war Neuland“, schwärmt Lang noch heute. Schlagerstar Udo Jürgens (†80) tanzte hier nach einem Konzert, ein nicht weiter ausgewiesener Adliger benahm sich daneben. Im Buch vermeidet Lang es an vielen Stellen, Namen zu nennen – „wer es liest, weiß, wer gemeint ist“. Die Feiernden reisten auch aus Berlin oder München an. „Der Club war eine Geldmaschine.“ Auch „weil wir die geilste Musik hatten“.
Hummel, der dritte „Sugarboy“, stieß als DJ dazu – „wir haben ihn aus Bodo Linnemanns ‚Casa‘abgeworben. Hummel und ich haben uns um die Musik und die Mädels gekümmert, Hannes hat die Finanzen geregelt“. Wobei Lang im Buch andeutet, dass nicht immer alles sauber gelaufen sei. Schuld sei er auch selbst gewesen, „ich war leichtgläubig“. Nach etwa dreieinhalb Jahren war Schluss mit den Zucker-Zeiten – ein hartnäckiger Interessent hatte einen Koffer Bargeld auf den Tresen gelegt und den Club gekauft.
Und dann? Sonnenbaden in Brasilien – und irgendwann die große Langeweile. „Ich bin zurück und habe mich auf die Suche gemacht“, erzählt Lang. Nur einen Steinwurf vom immer noch florierenden „Sugar“ entfernt fand er einen Lagerraum an der Herrenstraße. Wieder ein Keller, in den eine lange Treppe führte (deshalb heißt das Buch auch „Tiefenrausch“), aber diesmal 800 Quadratmeter groß. Das Trio investierte 500.000 Mark in den Club „Depot“, importierte italienischen Marmor für die Tanzfläche, brach alle Dimensionen. „Die Jungs haben aus dem Vollen geschöpft“, bestätigt Burkhardt ED Rump, der damals mit seiner Hasselblad-Kamera das Nachtleben der Stadt einfing.
Die Erfolgskurve war steil, brach aber jäh ab. „Wir waren zu arrogant, wir dachten, wir hätten Narrenfreiheit“, sagt Lang, der auch im Buch offen mit seinen Fehlern umgeht. Denn von Anfang an habe es Ärger mit den Nachbarn und Lärmbeschwerden gegeben. „Aber die Briefe kamen ungeöffnet in die Ablage, bis die Polizei vor der Tür stand. Unser Größenwahn hat uns das Genick gebrochen.“ Doch zu dem Zeitpunkt konnte Lang schon von Glück reden, dass er überhaupt noch lebte. Denn bei einer Auseinandersetzung an der „Depot“-Kasse hatte er etliche Messerstiche in den Bauch abbekommen. „Ich hatte ein Prozent Überlebenschance.“
Doch der Mann mit der schwarzen Mähne ist ein Überlebenskünstler. Das „Depot“ endete zwar „mit einem großen Knall“, er und Hannes verkrochen sich vor den Gläubigern erst mal auf die spanische Insel Formentera und ließen eine Anwältin alles regeln. Aber Lang stellte sich irgendwann der Realität. „Ich habe in Berlin eine Ausbildung zum Koch gemacht und als Küchenchef in einigen Restaurants gearbeitet. Ich habe viele Jahre die Schulden abgetragen.“ Und zwischendurch Musik gemacht.
Allerdings war der Start in das Leben als DJ und Entertainer holprig. „Ich habe die schlechteste Silvesterparty aller Zeiten gemacht“, gibt Lang zu – „ich hatte den Übergang von Vinyl zu CDs verpasst und hatte nicht das richtige Equipment.“ Aber die richtige Ausstrahlung. „Die Leute haben zu mir gesagt: Du musst auf die Bühne.“ In Berlin sei er dann „fast berühmt geworden“. Aus der Tasche kramt er eine CD aus dem Jahr 1996 hervor. „Wenn du lachst“ heißt der Song, mit dem er sich als Roger Lang („ich brauchte einen Künstlernamen“) um den Eurovision Song Contest bewerben wollte. Es wurde nichts daraus, im Jahr 2000 kehrte er nach Hannover zurück.
Wie die Idee zum Buch über „Sugar“ und „Depot“ entstand? „Roger hat auf der Party zum 50. Geburtstag meines Schwagers aufgelegt – so sind wir uns wieder über den Weg gelaufen“, berichtet Fotograf Rump. Er hatte gerade mit „Wilde Zeiten“ in der Galerie für Fotografie (GaF) in der Eisfabrik einen Erfolg gefeiert.
Und mit den Bildern aus Hannovers Nachtleben Emotionen geweckt. „Die Leute lagen sich in den Armen, haben Erinnerungen ausgetauscht.“ Das wollen Lang und Rump nun auch mit „Tiefenrausch“ auslösen. „Denn es war ein Rausch. Alles drehte sich um Musik und die Schönheit der Menschen“, sinniert Lang. Er versichert: „Es gibt noch eine Nachlese.“
Denn sieben Tage nachdem das Buch in Druck gegangen war, tauchte im Keller der Billardbar „Chicago“, die nach dem „Depot“ an der Herschelstraße eingezogen war, eine „olle Kiste“ auf. „Da waren 800 Dias drin, ein echter Schatz“, frohlockt der DJ. Außerdem hätten Menschen nach der Vernissage Umschläge mit alten Aufnahmen vorbeigebracht. „Wir haben ein Schneebrett losgetreten, jetzt wird es eine Lawine“, mutmaßt Fotograf Rump.
Und sogar Totgeglaubte leben wieder, weil die beiden Autoren mit „Tiefenrausch“ viel Staub aufgewirbelt haben: „Wir dachten, Hummel wäre gestorben, ich habe das auch im Buch angedeutet. Aber vor zwei Wochen hat mir jemand seine Nummer gegeben. Wir haben telefoniert und eine Stunde nur gelacht“, erzählt Lang. Es wird wohl noch einige zuckersüße Geschichten zu erzählen geben.