Horizontale Linien unterschiedlicher Farbe und verschiedener Länge sind darauf gezeichnet. Es sieht aus wie ein Allergiekalender; nur dass darauf keine Pollenflugzeiten verzeichnet sind, sondern Künstlerinnen und Künstler, technische Anforderungen, Anlieferzeiten und vieles mehr. Was man halt so braucht, wenn man ein Kleines Fest organisiert, das ein ganz schön großes ist, eine der wichtigsten Kleinkunstveranstaltungen überhaupt: Koch ist die neue Projektleiterin des Kleinen Fests im Großen Garten.
„Das sogenannte Kleine Fest ist eines der wichtigsten in Deutschland. Es hat in der ganzen Szene eine Sonderstellung“, schwärmt sie. „Je länger ich hier bin, desto begeisterter bin ich. Was ich besonders toll finde, ist, dass sich die Hannoveraner absolut damit identifizieren. Das Kleine Fest ist Teil der hannoverschen DNA.“
Und die will sie mit neuem Leben füllen. Ihre Arbeit nahm sie im Januar auf. Eigentlich habe so eine Veranstaltung eineinhalb bis zwei Jahre Vorlauf. „Wir haben ein halbes Jahr, das ist schon sportlich, und deswegen galoppieren wir ein bisschen.“ Dinge müssten auf eine bestimmte Weise erledigt werden. „Man kann das dritte nicht vor dem ersten machen, muss aber auch das vierte im Kopf behalten, damit am Ende die Veranstaltung stattfinden kann. Das muss ich mir verbildlichen.“ Darum gibt es das wandfüllende Tabellarium.
Koch bringt viel Erfahrung mit: 23 Jahre lang, bis 2023, leitete sie das Bremer Straßentheater-Festival „La Strada“. Aufgewachsen ist sie in Bielefeld. Nach dem Abitur habe sie zunächst eine Schneiderlehre begonnen und schnell gemerkt: „Das ist es noch nicht!“ Es sollte in die Kultur gehen, aber auf keinen Fall ganz vorne auf die Bühne. Sie arbeitete im Theater hinter den Kulissen und studierte in Bremen Kulturwissenschaften.
Ein Professor, ausgerechnet ein fauler, gab den letzten Anstoß. „Ich habe mich wahnsinnig über ihn aufgeregt, weil er so unvorbereitet war, und seine Vorlesung lautstark protestierend verlassen. Eigentlich sollte es um aristotelische Dramentheorien gehen, und ihm ging es nur um Premierenfeiern.“ Ein Kommilitone sei ihr gefolgt. „Der meinte: ‚Endlich sagt es mal jemand‘, und das war derjenige, der ‚La Strada‘ gemacht hat.“ Er bot ihr einen Job an. „Im dritten Jahr hatte ich das Festival plötzlich wie ein Baby in den Händen.“
Casper de Vries, der neue künstlerische Leiter des Kleinen Fests, und sie hatten dort zuletzt zusammengearbeitet: „Casper hat die visionären Ideen. Ich setze sie um.“ Der Niederländer war im vergangenen Jahr mit seiner Aufgabe betraut worden und auch mit der Bürde, in die Fußstapfen Harald Böhlmanns zu treten, des Erfinders und langjährigen Machers des Kleinen Fests.
„Ich kenne Harald Böhlmann sehr lange als sehr wertgeschätzten Kollegen; er hat eine so sensationelle Arbeit geleistet“, sagt Koch. „Ich fühle mich fast geehrt, das weiterführen zu dürfen.“ Aber sie sagt auch: „Bei jeder Veranstaltung, die lange läuft, lohnt es sich, noch einmal draufzuschauen. Wir sprechen von Kunst; die lebt von Innovation.“
Das Kleine Fest wird sich verändern. Es wird neue Künstlerinnen und Künstler geben, neue Laufwege, rund um die Große Fontäne, ein Festivalzentrum, eine neue Abschiedszeremonie ohne Feuerwerk, dafür mehr Platz im nördlichen Bereich des Gartens, der bislang wegen der Knallerei gesperrt wurde, und ein Oberthema, in diesem Jahr „Wasser“.
„Man strebt keine Veränderung an, um etwas zu verschlechtern“, sagt Koch. „Die größte Konstanz ist, dass es diesen Traumgarten gibt. Eine schönere Kulisse gibt es gar nicht. Das ist die Hauptattraktion. Die zu nutzen, als Mitspieler zu nutzen, ist ein Glück.“Der größte Vorteil bei Freiluftveranstaltungen? „Der Zuschauer steht genauso im Licht wie die Menschen auf der Bühne. Man teilt seine Freude.“ Sie setzt auf ein „Theater der Begegnungen: Man kommt mit Menschen ins Gespräch, die man vorher nicht kannte, hört Empfehlungen, guckt sich das an, es wird einen immer etwas überraschen. Irgendwann lässt man los und lässt sich treiben.“ Sie ist überzeugt: „Es wird eine tolle Veranstaltung. Im besten Fall sieht das Publikum nicht, wie viel Arbeit dahintersteckt.“ Und erst recht keine Tabellen.