Die Forschungseinrichtung, die sich regelmäßig mit Klima- und Innovationsthemen befasst, kommt in einer aktuellen Untersuchung zu folgendem Schluss: In Niedersachsen müssten 5940 zusätzliche Windräder sowie 480 Quadratkilometer Photovoltaikflächen installiert werden, um klimaneutrale E-Fuels für den Betrieb der rund fünf Millionen Fahrzeuge im Land – mit einer durchschnittlichen jährlichen Fahrleistung je Auto von rund 13.700 Kilometern – herstellen zu können. Zum Vergleich: Für den direkten Betrieb einer E-Auto-Flotte derselben Größe und mit derselben Fahrleistung müssten laut der Studie im Vergleich zu heute nur 740 zusätzliche Windräder sowie 60 Quadratkilometer Photovoltaikflächen installiert werden.
Auf ganz Deutschland lassen sich diese Zahlen hochrechnen, wenn man sie etwa mit dem Faktor zehn multipliziert. Die enormen Unterschiede erklärt das Borderstep Institut mit einer deutlich ineffizienteren Verwendung des mit Wind- und Sonnenenergie hergestellten klimaneutralen Stroms beim Einsatz von E-Fuels. Denn während der Strom in die E-Autos direkt eingespeist werden kann, sind bei der Produktion von E-Fuels weitere Schritte notwendig, bevor diese den Motor eines Fahrzeugs antreiben können.
Zunächst muss dazu mit Strom per Elektrolyse klimaneutraler Wasserstoff hergestellt werden, der in den üblichen Verbrennungsmotoren jedoch nicht als Treibstoff verwendet werden kann. Deshalb ist es notwendig, den Wasserstoff mithilfe chemischer Verfahren in E-Fuels umzuwandeln. Das alles kostet Energie. Die Borderstep-Studie nimmt an, dass – je nach E-Fuelart – nur 44 Prozent der Energie im Strom auch im hergestellten Treibstoff ankommen. Der wiederum hat im Verbrennungsmotor einen schlechteren Wirkungsgrad als der Strom im E-Auto. Die Untersuchung geht davon aus, dass der Verbrauch von Verbrennern im Schnitt bei 74 Kilowattstunden auf 100 Kilometern liegt, bei E-Autos seien dies nur 20 Kilowattstunden je 100 Kilometer.
Unter dem Strich kommt das Forschungsinstitut zu dem Schluss, dass für den Aufbau der Infrastruktur für eine Versorgung einer Verbrennerflotte von fünf Millionen Fahrzeugen in Niedersachsen Investitionen in Höhe von 102 Milliarden Euro notwendig wären. Für eine vergleichbare Flotte aus E-Autos geht die Borderstep-Untersuchung von Investitionen in Höhe von 34,7 Milliarden Euro aus – aktuelle Mehrkosten von E-Autos im Vergleich zu Verbrennern von 5000 Euro je Fahrzeug mit einkalkuliert.
„Der Betrieb einer Autoflotte mit E-Fuels erfordert sehr, sehr große Energiemengen und sehr hohe Investitionen in die Energieerzeugung und ist daher für jeden Einzelnutzer unnötig teuer“, sagt Jens Clausen, der federführende Autor der Studie. „Es ist kein Problem, einen Motor mit E-Fuels zu versorgen. Aber es ist ein Problem, Millionen von Motoren mit E-Fuels zu versorgen“, erklärt der Wissenschaftler. Andere Studien zeigten, dass damit zu rechnen sei, dass das Autofahren mit E-Fuels etwa dreimal so teuer sein werde wie das elektrische Fahren.
Auch ein im Januar 2024 gemeinsam von den Wissenschaftsakademien Leopoldina und Acatech sowie der Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften veröffentlichtes Papier zur Bedeutung von Wasserstoff im Energiesystem der Zukunft kommt zu ähnlichen Schlüssen. „In vielen Einsatzbereichen und insbesondere bei Pkw sind batterieelektrische Antriebe in der Regel die kostengünstigste und bezogen auf den eingesetzten Strom die effizienteste Antriebsart“, heißt es darin.Wenn zwei vergleichbare Fahrzeuge die gleiche Strecke zurücklegen, benötige ein mit Wasserstoff betriebenes Brennstoffzellenauto für die Produktion des Wasserstoffs etwa zweieinhalbmal so viel Strom wie ein Elektroauto für das Laden der Batterie. Fahre das Fahrzeug mit einem Verbrennungsmotor, der mit E-Fuels betrieben werde, sei durch die zusätzlichen Produktionsschritte beim Kraftstoff im Vergleich zum E-Fahrzeug sogar etwa die fünffache Menge an Strom notwendig, schreiben die Wissenschaftsakademien.
Benötigt werde der grüne Wasserstoff im Verkehr vor allem für das Fliegen sowie für Schiffe. Wichtig werde dieser ansonsten vor allem für Prozesse in der Industrie, die nicht elektrifiziert werden können, etwa in der Stahlindustrie und der chemischen Industrie.
Die E-Fuel-Alliance, ein Verband, in dem sich unter anderem Unternehmen aus der Mineralöl- und Automobilindustrie zusammengetan haben, um die industrielle Produktion der Kraftstoffe aus erneuerbaren Energien voranzutreiben, hält deren Einsatz laut Hauptgeschäftsführer Ralf Diemer für sinnvoll „in allen Bereichen, in denen heute fossile Kraftstoffe verwendet werden“. Er fordert „vielfältige Ansätze, globale Partnerschaften und eine Vielzahl an Technologien, die ihre jeweiligen Vorteile ausspielen können“.
Dafür plädiert auch der Arbeitgeberverband Niedersachsenmetall. „Die Vorstellung, die Klimaziele im europäischen Straßenverkehr allein über die Neuzulassung von E-Autos zu erreichen, hat sich aufgrund der fehlenden Marktakzeptanz von batterieelektrischen Fahrzeugen bislang als Utopie erwiesen“, sagt Hauptgeschäftsführer Volker Schmidt. Er halte es „in jedem Fall für sinnvoll, technologieoffen an die Senkung der Emissionen heranzugehen, so wie es mit Ausnahme der EU der Rest der Welt macht: mit E-Autos, synthetischen Kraftstoffen und Brennstoffzellen. Die Politik sollte Anreize setzen, anstatt zu regulieren.“
Sowohl die E-Fuel-Alliance als auch Niedersachsenmetall setzen sich dafür ein, bis 2030 eine fünfprozentige Beimischung von E-Fuels zu herkömmlichen Treibstoffen im europäischen Straßenverkehr zu erreichen. Dadurch könnten jährlich bis zu 60 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden.
Jens Clausen vom Borderstep Institut hält das für keine gute Idee. Allein für diese Menge E-Fuels müssten seinen Berechnungen nach in Europa oder anderswo etwa 15.000 Windräder mit einer Leistung von fünf Megawatt sowie 1250 Quadratkilometer Photovoltaikanlagen installiert werden, außerdem entsprechende Elektrolyse- und Syntheseanlagen aufgebaut werden. „Investitionen von circa 250 Milliarden Euro wären erforderlich für gerade einmal 5 Prozent des Treibstoffs. Mit einem Bruchteil des Aufwandes könnte man eine vergrößerte Elektroflotte antreiben und auch damit wesentliche Fortschritte beim Klimaschutz im Bereich Verkehr erzielen“, erklärt der Wissenschaftler.