Die empörten Kommentare über den untätigen Mann folgten prompt. Ein Kommentar attestiert schlicht: „Verheiratete Single-Mama“, was bedeutet: keine gleichberechtigte Partnerschaft, sondern ein gleichgültiger Ehemann.
Tiktok-Videos dieser Art – entsprechend kommentiert – gibt es reichlich. 2023 sei das Jahr gewesen, in dem Frauen „genug“ von der „modernen Ehe“ gehabt hätten, verkündete etwa die britische Zeitung „The Guardian“. Gen-X- und Millennial-Frauen, heißt es weiter, hätten ihre Beziehungen mit großen Worten wie „gleichberechtigte Partnerschaft“ und „Co-Parenting“ begonnen – nur um doch enttäuscht zu werden.
Zahlreiche Bücher, Zeitungsartikel, Podcasts und Social-Media-Beiträge ziehen ein ähnliches Fazit. „Ein immer größerer Anteil der Frauen über 50 entscheidet sich ganz bewusst für das Alleinsein, weil sie keinen Bock mehr auf eine lieblose Ehe haben“, sagte die Autorin Sarah Diehl 2022 im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. „Mein Mann war das schwierigste Kind“, berichten Frauen, die jetzt lieber allein wohnen, in „Der Zeit“. Der Eindruck, der so entsteht: In einer Welt, in der sie immer seltener ökonomisch von einer Partnerschaft abhängig sind, entscheiden sie sich immer häufiger gegen sie.
Die These von den Frauen, die lieber allein sind, wird sogar genutzt, um politische Entwicklungen zu erklären. Warum rechte Parteien weltweit so viel Zulauf (von Männern) erhalten etwa. John Burn-Mordoch hielt in der „Financial Times“ kürzlich fest, dass junge Frauen immer progressiver, junge Männer aber immer konservativer werden würden. Der Autor erklärt sich das so: Die #MeToo-Bewegung sei der entscheidende Auslöser gewesen. Er habe bei jungen Frauen „zutiefst feministischen Werten“ Aufwind gegeben. Die jungen Frauen, so Burn-Mordoch, fühlten sich nun bestärkt, „sich gegen lang andauernde Ungerechtigkeiten auszusprechen“.
Die US-Journalistin Amanda Marcotte schrieb schon 2019: Der Aufstieg der politisch extrem Rechten in Amerika sei größtenteils das Ergebnis junger Männer, „die verbittert und einsam sind, weil sie keine romantischen Partnerinnen finden, die eine unterwürfige Rolle akzeptieren“. Man könnte die gleiche These für Ostdeutschland aufstellen: Frauen sind nicht nur liberaler eingestellt, sie sind dort auch mobiler, ziehen häufiger weg – und hinterlassen gefrustete AfD-Wähler.
Entscheiden sich wirklich immer mehr Frauen (freiwillig) gegen eine feste Partnerschaft und bleiben so immer mehr Männer (unfreiwillig) allein? Was das Narrativ für viele so überzeugend macht, ist sein wahrer Kern: Männer profitieren (in der Regel) von Ehe und Partnerschaft mehr als Frauen.
Die Verteilung von Alltagsaufgaben (Mental Load) zeigt beispielhaft das Missverhältnis. Wer hat die Arzttermine im Kopf? Wer den Bestand im Kühlschrank? Wer die Stundenpläne der Kinder? Die Frauen – und zwar selbst dann, wenn sie Vollzeit arbeiten. „Zum Mental Load wird diese Arbeit, wenn sie emotional belastend ist“, sagt die Soziologin Yvonne Lott, die dazu Daten erhoben hat. Bei Männern dagegen spiele es „keine Rolle, ob sie in Vollzeit arbeiten oder nicht, ob sie Kinder haben oder nicht. Das bleibt alles einerlei. Der Mental Load ist niedrig und bleibt niedrig.“Zum Familienmanagement kommen die anderen Hausarbeiten hinzu. So zeigte eine US-amerikanische Studie aus dem Jahr 2023: Seit Längerem verpartnerte Frauen putzten und kochten mehr als ihre Männer – die dafür immer mehr Zeit mit Entspannung zubrachten. Diese ungleiche Arbeitsverteilung sei womöglich eine Erklärung dafür, dass Frauen sich langfristig eher „entlieben“ als Männer, lautet das Fazit der Studie. Frauen haben bei zu viel Belastung auch weniger Lust auf Sex, zeigte 2022 eine der ersten Studien, die sich mit dem Thema befasst hat.
Keine Lust mehr auf Sex, erkaltete Gefühle, dafür mehr Hausarbeit – und dazu noch Erwerbsarbeit? Es fällt nicht schwer zu glauben, dass mehr Frauen, je häufiger dieses Missverhältnis öffentlich und privat zur Sprache kommt, beim Gedanken an eine feste Partnerschaft und Kinder dankend ablehnen.Ein Blick in diverse Statistiken zeigt: Im vergangenen Jahr sind in Deutschland nach vorläufigen Zahlen rund 693 000 Kinder zur Welt gekommen. 2022 waren noch 738 819 Geburten gezählt worden. Auch die Zahl der Eheschließungen sank 2023: im Vergleich zum Vorjahr um 7,6 Prozent auf rund 361 000.
Diese Statistiken verraten wenig über die Gründe, aus denen Menschen sich entscheiden, nicht (noch einmal) zu heiraten oder keine Kinder zu kriegen. Einen klaren Zusammenhang zwischen Veränderungen in der Bevölkerungsstatistik und dem Narrativ der glücklichen, alleinstehenden Frau zu ziehen sei schwierig, sagt daher auch Sabine Diabaté vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung.
Handelt es sich bei den „Frauen, die (jetzt) lieber allein leben“, die bewusst auf Kinder verzichten, also um eine reine Blasendiskussion? Etwas, das vor allem Akademikerinnen und Feministinnen in der Theorie umtreibt? Während der Großteil der Frauen sich nach einer festen Partnerschaft und Kindern sehnt?
„Selbst wenn es eine Blasendiskussion wäre, hieße das nicht, dass das Thema keine Relevanz hat“, sagt Diabaté. „Denn wir beobachten einen normativen Wandel der Geschlechterkultur – junge Frauen sind deutlich häufiger liberal und modern gegenüber Geschlechterrollen eingestellt als die gleichaltrigen Männer, ein Muster, dass in vielen Industrieländern, also keineswegs nur in Deutschland, zu beobachten ist.“
Sie betont aber auch: Viele Umstände, die Ehe und Kinder derzeit für manche unattraktiv erscheinen lassen, seien nicht nur auf unterschiedliche Einstellungen zurückzuführen, sondern auch strukturell erklärbar: Weil Kinderbetreuung durch den Fachkräftemangel problematisch sei. Weil Männer teilweise vom Arbeitgeber keine Unterstützung erhielten, wenn sie in Teilzeit arbeiten wollten.
Statt eine einfache Kausalkette aufzufädeln, vergleicht die Expertin die Situation daher mit einem Puzzlespiel: „Für viele Teilaspekte gibt es schon Studien“, sagt Diabaté. Man wisse zum Beispiel, dass schon Mädchen sich viel stärker mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie auseinandersetzten, weil sie früher als Jungs verstehen, dass „sie die Leidtragenden sein werden“. Ist es da nicht logisch anzunehmen, dass es auch etwas mit einem jungen Mädchen macht, wenn es auf ein Video stößt, in dem ein Mann sich außer Stande sieht, das Geschirr abzuwaschen?