Wenn überhaupt, wohnt das Glück auch hierzulande offenbar schon lange im Norden. Genauer: in Schleswig-Holstein. In unmittelbarer Nachbarschaft, in Mecklenburg-Vorpommern, sollen hingegen die Unglücklichsten des Landes wohnen. So ist es im jährlich erscheinenden „Glücksatlas“ verzeichnet, einer Langzeiterhebung der Universität Freiburg mit rund 11 500 Teilnehmenden. Diese wurden dazu befragt, wie zufrieden sie sich mit Arbeit, Einkommen, Familie und Gesundheit fühlen.
Man könnte also meinen, ein Wohnortwechsel in Richtung Norden könnte glücklicher machen. Es gibt aber ein Problem: Niemand weiß, was Glück überhaupt ist. Objektiv messen lässt es sich nicht. Forschende verlassen sich in ihren nach Ländern sortierten Glücksrankings auf Selbsteinschätzungen der Befragten. Und sie bestimmen die Faktoren, die besonders zufrieden machen sollen. Aber sind diese wirklich so wichtig, wenn es darum geht, möglichst glücklich zu sein?
Die Kulturwissenschaftlerin Annegret Braun hat mit Studierenden in einem Projekt an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität 700 Menschen in Deutschland dazu befragt, was sie unter Glück verstehen. Ob auf die Länderrankings Verlass sei? „Solche Umfragen sind sehr zu hinterfragen“, sagt Braun. Jeder verstehe etwas anderes unter Glück: „Die einen denken an einen überwältigenden, überraschenden Moment, eine Euphorie. Andere an einen kurzweiligen positiven Zustand, den man auch beeinflussen kann. Wieder andere an ein langfristig anhaltendes Gefühl von Zufriedenheit.“
Glück ist also sehr persönlich. Einen gewissen Rahmen zum Umgang mit Glück setzten Länder aber schon, erläutert die Wissenschaftlerin. In asiatischen Ländern zählt das Glück der Gemeinschaft beispielsweise mehr als das Glück des Einzelnen. Bhutan spricht vom „Bruttonationalglück“ statt „Bruttoinlandsprodukt“ und betont damit weniger das Wirtschaftswachstum, sondern den Naturschutz. In den USA ist das Recht auf das Streben nach Glück, verstanden als Besitz eines Stücks Land, in der Verfassung verankert. Und in skandinavischen Ländern werden zwischenmenschliche Beziehungen besonders stark gewichtet.
Stellschrauben gibt es also schon, um Glücksmomente im Leben zu begünstigen. Was wirklich zählt, sei aber nicht unbedingt das, was in Länderrankings und nationalen Strategien beachtet wird, erklärt Braun, die selbst für ein Buch den Stand der aktuellen Glücksforschung zusammengetragen hat. Die Gesundheit etwa spiele eine weniger wichtige Rolle als oft angenommen. Trotz Krankheit und körperlichen Beeinträchtigungen könne man durchaus Glück empfinden. Auch der Faktor Geld werde überschätzt – solange man für Miete, Essen und einen gewissen Lebensstandard aufkommen kann. Besitz trage weniger als gedacht zum Glücksempfinden bei.
Studien zeigten hingegen, dass Arbeit, sofern sie als sinnvoll empfunden wird, eine große Quelle für Zufriedenheit ist. Ebenso Spiritualität. Stark unterschätzt werde der Faktor der Zugehörigkeit und Gemeinschaft, gerade in Deutschland. „Wir investieren oft zu wenig Zeit in das Zusammensein mit Freunden und Familie“, sagt Braun. Um Glück zu empfinden, brauche es zudem Kontrasterlebnisse. Das heißt: Dass man fit und gesund ist, kann man erst richtig wertschätzen, wenn man richtig krank war. Große Freude kann man erst empfinden, wenn man auch mal schlecht drauf war. „Traurigkeit, Angst, Niedergeschlagenheit, Gefühlsleere: Solche Gefühle werden bei unserer Suche nach Glück in der Gesellschaft oft ausgeklammert“, sagt Braun. „Aber auch das gehört zum Leben dazu.“
Ein Problem unserer Zeit ist, dass gerade in sozialen Medien permanent vermittelt wird, Glück sei allgegenwärtig. Denn dort werden oft nur außergewöhnliche Momente präsentiert. „Wir sollten aber auch das Mittelmaß im Leben akzeptieren – gerade auch, um Glück erfahren zu können“, rät Braun. „Dauerhaft Glück empfinden, das ist ein unerreichbares Ziel.“
Zusammengefasst lässt sich also sagen: Man sollte die eigenen Erwartungen etwas herunterschrauben. Mehr Zeit mit den Liebsten priorisieren. Und man muss nicht gleich in den hohen Norden ziehen, um die Aussicht auf Glück zu erhöhen. Also ist jeder seines Glückes Schmied, wie es so schön heißt? Oder andersherum gefragt: Sind wir selbst schuld, wenn wir unglücklich sind?
Nicht ganz. Forschende sind sich sicher, dass auch die Gene beeinflussen, wie glücklich wir durchs Leben gehen. Unsere Vorfahren mischen also quasi noch lange nach ihrem Ableben bei unserem Glücksempfinden mit. Untersuchungen lassen vermuten, dass dieser Faktor auch den Dänen ein Stück weit zugute kommt. Viele von ihnen tragen, so zeigen es Untersuchungen, eine bestimmte Mutation, die dafür sorgt, dass das Glückshormon Serotonin besonders gut an entsprechenden Rezeptoren im Hirn andocken kann. Was für ein Glück!
Komplett auf das Genom abwälzen kann man das eigene Glück nun aber auch wieder nicht. Die US-Psychologin Sonja Lyubomirsky schlägt ein Modell vor, demzufolge rund 50 Prozent der Lebenszufriedenheit auf die Gene zurückzuführen ist, 10 Prozent durch unsere Lebensumstände bedingt – und immerhin 40 Prozent durch eigene Handlungen und Einstellungen beeinflusst werden kann. Das heißt dann auch: Man kann dem eigenen Glück auf die Sprünge helfen. Aber eben nur begrenzt.
Krampfhaft nach Glück streben, das empfiehlt auch Braun nicht. In Deutschland herrsche oft die Meinung vor, man müsse sich nur genügend anstrengen, um glücklich zu werden. „Das klappt so aber nicht“, sagt Braun. Coaching, Achtsamkeitstraining, Glückstagebuch führen: „Mit solchen Strategien kann man das eigene Lebensgefühl kurzfristig verbessern und versuchen, das Gute im Leben besser wahrzunehmen – aber in den meisten Fällen nicht auf lange Sicht“, sagt Braun. Vielleicht hilft da doch ein bisschen mehr skandinavisches Feeling im Alltag: einfache Freuden, Gemütlichkeit. Nicht zu viel und nicht zu wenig.
In jungen Jahren erlebt man ständig Neues. Man ist fit und gesund und traut sich etwas. Im Alter dagegen sind die Tage eher gleichförmig. Es zieht im Rücken, die Knie machen Probleme, die Augen sowieso. Trotzdem: Viele Menschen sind ab einem Alter von etwa 60 Jahren zufriedener. Von einem „Zufriedenheitsparadox“ spricht denn auch der Medizin-Professor Tobias Esch von der Universität Witten/Herdecke, der seit 20 Jahren zum Belohnungssystem des Gehirns und dem Glückserleben forscht. Trotz körperlicher Beschwerden und Krankheiten seien ältere Menschen in der Regel glücklicher und zufriedener als mittelalte Erwachsene, sagt der Experte. „Mit dem Älterwerden emanzipiert man sich von dem Gedanken, rundum gesund zu sein, sofern die Existenz nicht bedroht ist.“