Eine Frage hat David Heuer (44) zuletzt oft gehört. Ob er sich das wirklich gut überlegt habe, einen neuen Club zu eröffnen, in einer Zeit, in der überall in Deutschland Clubs schließen. Heuer sitzt in seinem Büro am Weidendamm 8 und lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Er lächelt schief unter seiner dunkelgrauen Basecap. „Man muss man schon ein bisschen positiv verrückt sein dafür“, sagt er. „Aber diese Stadt hat das verdient.“
Ende Oktober hat Heuer den „WDM“ in den Räumen des einstigen Kult-Technoclubs „Weidendamm“ in Hannovers Nordstadt neu eröffnet. Er ist kein Unbekannter in der Szene. Sieben Jahre lang führte er das „Pan“ am Engelbosteler Damm. Doch Ende September musste der kleine Club schließen, weil auf dem benachbarten Bumke-Gelände Wohnungen entstehen.
„Wir hätten die Emissionswerte nur mit teuren Investitionen einhalten können“, erklärt Heuer. Als er erfuhr, dass die größeren Räumlichkeiten am Weidendamm frei werden, zögerte er nicht. Der Ort hat für ihn eine besondere Bedeutung: Sechs Jahre lang hatte er neben seinem Job als Maler und Lackierer schon House- und Technopartys im damaligen „Weidendamm“ organisiert, bevor er 2018 das „Pan“ eröffnete. „Jetzt bin ich wieder da, wo für mich alles angefangen hat“, sagt der 44-Jährige. Und er hat große Pläne: „Wir wollen Hannover in der Technoszene wieder auf die Karte bringen.“
Der „Weidendamm“ hat Geschichte. In den 2010er-Jahren war die Hinterhof-Disco eine Top-Adresse für Fans elektronischer Musik. 2018 wählten Leser und Club-Chefs des Szenemagazins „Faze“ sie zum zweitbeliebtesten Technoclub Deutschlands – hinter dem weltberühmten Berliner „Berghain“.
2019 verkaufte Gründer Sem Köksal (49) den Club. Sein Nachfolger Philipp „Friso“ Hoeksma versuchte, mit einem neuen Konzept an die legendären „Weltspiele“ anzuknüpfen, die in den 1990er-Jahren in einem ehemaligen Kino an der Georgstraße entstanden waren. Doch der Erfolg blieb aus. Anfang 2025 schloss der „Weltspiele“-Club.
Heuer übernahm mit seinem etwa 20-köpfigen Team aus dem „Pan“. Gemeinsam bauten sie den Club um. Unter der Woche werkelten sie im „WDM“, am Wochenende lief der Betrieb im „Pan“. „Das war schon sehr anstrengend. Ich habe großen Respekt vor der Motivation des Teams“, sagt Heuer. „Man merkt, dass alle Bock darauf haben.“
Ganz fertig ist der Club noch nicht. Im Inneren sollen Details verbessert werden, unter anderem eine Begrünung der Wände. Der Hof soll außerdem für Open-Air-Veranstaltungen umgestaltet werden. Doch der Wandel ist schon sichtbar: Der Laden erinnert wieder stärker an den früheren „Weidendamm“. Das helle Interieur ist verschwunden, Wände und Boden sind schwarz. Die neue Bühne steht wieder am Kopf der Tanzfläche. In kleinen, schallgeschützten Separées können sich Gäste zurückziehen.
Heuer weiß, dass er ein Risiko eingeht. Die ersten Wochen seien zwar gut angelaufen. Gleichwohl spürt er den finanziellen Druck, mit dem viele Disco-Betreiber zu kämpfen haben. „Wir müssen das Konzept Club neu denken. Mit dem traditionellen Wochenendbetrieb überlebt man heute nicht mehr“, sagt er. Freitags und am Samstag gibt es Partys, nicht nur zu Techno soll getanzt werden, auch zu Trance, House und anderen Strömungen der elektronischen Musik.
Unter der Woche bietet der „WDM“ ein Alternativprogramm. Der Club wird künftig Schülern der benachbarten Musikhochschule eine Bühne bieten. Außerdem sind Flohmärkte, „Techno and Paint“-Events mit der hannoverschen Pop-Art-Künstlerin Leo Rebella sowie DJ-Workshops geplant. Auch Open-Air-Partys auf dem Hof will das Team im kommenden Jahr veranstalten. Der Spagat, namhafte DJs nach Hannover zu holen und gleichzeitig genug Geld zu verdienen, sei schwierig, weiß Heuer. „Wenn ich 40 Euro Eintritt nehme, kommt niemand. Verramschen können wir die Tickets aber auch nicht, sonst machen wir in sechs Monaten wieder zu.“ Die Kosten seien in vielen Bereichen explodiert – vor allem die Gagen für Künstlerinnen und Künstler. „DJs, die ich vor zehn Jahren für 500 Euro bekommen habe, nehmen jetzt 10.000 Euro.“
Auch die Feierkultur habe sich verändert. „Junge Leute haben immer weniger Budget für Freizeitaktivitäten“, sagt Booker Rufus Giesel. Den Eintritt in einen Club könnten sich viele nicht jedes Wochenende leisten. „Früher konnte man an einem Freitagabend für insgesamt 15 Euro durch die Clubs ziehen, erst in die Faust, dann in die Glocksee, dann ins Pan. Die Zeiten sind leider vorbei.“ Der „WDM“ reagiert mit neuen Ideen: Open-Air-Partys am Tag, Vergünstigungen für Studierende und „Würfelpartys“, bei denen Gäste ihren Eintrittspreis auswürfeln.
Trotz aller Neuerungen bleibt das Herzstück des „WDM“ die Clubnacht. „Jeden Monat haben wir mindestens ein Highlight, das auch Gäste von außerhalb anzieht“, sagt Giesel. Am Nikolaustag hat DJ Gigola aufgelegt, Anfang Januar kommt der Berliner Ghetto-Techno-DJ MCR-T. „Hannover hat eine stabile Technoszene“, betont Giesel. Mit dem „WDM“ soll diese eine neue Anlaufstelle bekommen.
Der Club „Weidendamm“ war einst Hannovers Techno-Hochburg. Nun hat David Heuer (44) ihn unter dem Namen „WDM“ neu eröffnet und will Hannover für Fans elektronischer Musik wieder attraktiver machen. Doch er sagt auch: Ein klassischer Discobetrieb lohnt sich heute nicht mehr.