Ganz schön produktiv, die Jungs: Zwei Alben haben The Velvet Sundown in den vergangenen Wochen schon veröffentlicht, ein drittes soll im Juli noch folgen. Noch beeindruckender als ihr Output ist ihr Aufstieg: Niemand hat vorher je von ihnen gehört, aber innerhalb kürzester Zeit schaffte es die Truppe auf mehr als eine Million Hörer auf Spotify. In früheren Biografien auf den Social-Media-Profilen der Band war vom Sänger und „Mellotron-Magier“ Gabe Farrow, dem Gitarristen Lennie West, dem „Bass-Synthie-Alchemisten“ Milo Rains und dem Perkussionisten Orion „Rio“ Del Mar die Rede.
Alleine: Die Band existiert nicht. Die Musik ist, mit menschlicher Unterstützung, von Künstlicher Intelligenz generiert. Lange Zeit war das nicht offensichtlich, auch wenn viele Hörer online diesen Verdacht äußerten. Nachdem ein Sprecher der Band sich als Fake-Sprecher der unechten Band herausstellte, erläutert mittlerweile die Band-Biografie, The Velvet Sundown seien eine „fortlaufende künstlerische Provokation, welche die Grenzen von Autorschaft, Identität und die Zukunft von Musik selbst im Zeitalter von Künstlicher Intelligenz hinterfragt.“ Klingt clever.
Cleverer zumindest als die Musik, die dabei herauskommt: Titel wie „Dust in the wind” oder „As the silence falls” klingen wie gefälliger Siebzigerjahre-Rock aus der zweiten oder dritten Reihe. Die Stücke habe zwar Sogwirkung, sind aber wenig visionär und weit entfernt von den großen Prog-Rock-Ideen der Zeit, nach der sie klingen soll. Es ist aber auch – auf fast schon unheimliche Weise – Musik, die man schon einmal gehört haben könnte, aber sich nicht erinnern kann, wo. Ein bisschen schmierig. Wäre die Musik nicht KI-generiert, umgäbe sie nicht die damit zusammenhängende Kontroverse: Sie wäre uninteressant. Vergessen, sobald der Song vorbei ist.
Das wäre sie vielleicht auch, wenn die Band nicht algorithmisch den Nutzern angespült worden wäre: The Velvet Sundown tauchten im automatisch generierten, persönlichen „Mix der Woche“ auf, berichteten Spotify-Nutzer, außerdem in diversen von Spotify generierten Gute-Laune-Playlists. Und, um der Ironie die Krone aufzusetzen, auch in der von Spotify generierten Playlist „Vietnam War Music“ – auf der ansonsten nur tatsächlich existierende Bands aus den 60ern und 70ern auftauchen. Die Simulation steht gleichberechtigt neben dem, was sie simulieren soll. „Es ist irgendwo interessant und witzig, das zu verfolgen, aber ich weiß nicht, wo das hinführen soll“, sagt Kristof Hinz, Schlagzeuger und Honorarprofessor im Studiengang Popular Music der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover.
Spotify verpflichtet nicht dazu, KI-generierte Musik als solche zu kennzeichnen. Der Musikstreaming-Dienst Deezer hingegen kennzeichnet von künstlicher Intelligenz generierte Musik und hat eine automatisierte Erkennung dafür gebastelt. Dort schätzt man, dass etwa 18 Prozent der hochgeladenen Musik KI-generiert sei.
Bis 2028, projiziert eine Studie der Vereinigung von Verwertungsgesellschaften CISAC, könnte Musikern ein gutes Viertel ihrer Einnahmen aus Tantiemen verloren gehen, wenn KI-generierte Musik immer verbreiteter werden sollte. Das sei „noch weniger von sowieso ganz wenig, wenn man von jungen Acts spricht“, meint Hinz.
Geld muss anders verdient werden. „Der Trend ist, dass live gespielt wird“, sagt Hinz. Damit – und mit den damit verbundenen Verkäufen von Merchandise – würden Musiker einen Hauptteil des Geldes verdienen.
Wer hinter The Velvet Sundown steckt, ist bis jetzt unbekannt – nur, dass die Musik aus der Musik-KI Suno stammen soll, scheint gesichert. „Man kann sich als Musiker durchaus mit KI behelfen“, sagt Hinz, gerade in seinem Spezialgebiet – Schlagzeug – könne KI „beeindruckend“ sein. „Aber irgendwann will das ja auch auf die Bühne, und die Konsumenten wollen einen Bezug zu echten Menschen haben“, sagt Hinz. „Und für die KI wird es dann schwierig.“