Um Station 19, die „Geschlossene“, hatte es viele Negativschlagzeilen gegeben. Ein ehemaliger Mitarbeiter wurde im März 2025 vom Landgericht zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt, weil er eine Patientin vergewaltigt hat. Die Beschäftigten haben sich viel mit dem einschneidenden Vorgang beschäftigen müssen, haben ihn aufgearbeitet – und damit abgeschlossen. Sie blicken nicht mehr zurück.
„Wir haben viel Unterstützung erfahren bei der Aufarbeitung“, sagt Martina Albat, seit 15 Jahren Erzieherin auf Station 19. Das Gerichtsurteil habe man wohlwollend zur Kenntnis genommen. „Wir machen unsere gute Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen hier längst einfach weiter“, betont Michael Kienast. Er ist seit 22 Jahren und damit bereits seit Eröffnung der Einrichtung Mitglied des engagierten Teams.
In der Jugendpsychiatrie werden Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre aufgenommen. Alle psychischen Störungsbilder des Jugendalters wie Depressionen, Angst und Zwangsstörungen oder Schulphobien werden behandelt. Zudem gibt es zwei Spezialsettings zur Therapie von Jugendlichen mit Esstrauma-Folgestörungen. Die besonders beschützende Station bietet zwölf Plätze. „Die Behandlung begleitet ein multiprofessionelles Team – Ärzte, eine Psychologin, Sozialarbeiter, Erzieherinnen und Kinderkrankenpfleger, ein Ergotherapeut sowie ein Lehrer“, erläutert Kienast.
„Wer bei uns ist, benötigt wirklich Unterstützung“, betont Neslihan Bag, die seit ihrer Ausbildung zur Gesundheits- und Kinderkrankenschwester vor knapp drei Jahren auf der Bult arbeitet. Voraussetzungen für eine Behandlung auf Station 19 ist, dass eine akute, schwerwiegende psychische Erkrankung vorliegt. Zudem muss die Notwendigkeit des besonders beschützenden – das heißt: Freiheit einschränkenden – Umfelds gegeben sein. Ebenso wie die Aussicht auf einen entsprechenden Behandlungserfolg. Erforderlich ist auch eine richterliche Genehmigung des Familiengerichts.
„Mir ist es wichtig, hier für Kinder da zu sein, die in einer schwierigen Phase ihres Lebens angekommen sind“, sagt Albat. Viele der jungen Patienten und Patientinnen der Jugendpsychiatrie seien suizidgefährdet. „Sie dürfen nicht allein gelassen werden, im doppelten Wortsinn“. Kollege Kienast ergänzt: „Auf der geschlossenen Station sind die sehr schwierigen Fälle. Wir geben ihnen einen sicheren Rahmen, Entlastung – und Perspektiven für ein Leben außerhalb der Klinik.“
Das wird kommen, früher oder später. Manche Jugendliche bleiben sechs Monate oder länger, manche nur ein paar Tage oder Wochen. Rund 250 Jugendliche nimmt Station 19 jährlich auf. Auch Grundschulkinder sind schon darunter. Mädchen sind häufiger betroffen als Jungen. Psychosen, Drogen, schwere Depression gehören zu den häufigsten Diagnosen. „Die Patienten sind herausfordernd, sie überfordern Eltern, das System und sich selbst“, sagt Kienast.
Geplante Aufnahmen verzeichnet Station 19 seltener, viele Jugendliche kommen als Akutfälle. „Da die Unterbringung bei uns eine freiheitsentziehende Maßnahme bedeutet, geht das niemals ohne richterlichen Beschluss“, betont der Heilerziehungspfleger. Der Beschluss für eine Aufnahme für zunächst maximal sechs Wochen kommt stets per Fax – genau wie Station 19 ist auch die zuständige Abteilung des Gerichts sieben Tage in der Woche rund um die Uhr besetzt. Michael Kienast, Neslihan Bag und Martina Albat arbeiten wie ihre 22 Kollegen und Kolleginnen auch nachts nie allein. Vom Stationszimmer aus haben sie jedes einzelne Zimmer im Blick; ist jemand der Mitbewohner oder des Teams in den Räumen, bleiben die Türen offen. Körperkontakt ist tabu. „Man muss Menschen nicht berühren, um ihnen Sicherheit, Geborgenheit, Trost oder Verständnis zu vermitteln“ – so definieren die Pflegenden ihre Aufgabe. Worte, so sagen sie, umarmten auch. Verbindung schaffe Vertrauen. „Die Türen sind zu, aber wir vermitteln, dass wir nicht gegen, sondern für die jungen Menschen sind“, betont Albat.
An das Stationszimmer grenzt ein Raum, der eingesehen werden kann – „für hoch suizidale Bewohner“, wie Albat erläutert. Die Sicherheitsstandards sind hoch, jede Gefährdung muss ausgeschlossen werden. „Wir haben das immer im Hinterkopf“, sagt Bag. Das sei durchaus auch belastend, „aber wir betrachten das professionell, die Regeln sind da, um zu schützen“. Gebraucht werde ein Rahmen, in dem sich alle Beteiligten sicher fühlen. Dem Team ist wichtig, dass die Betroffenen nicht stigmatisiert werden. „Psychiatrie ist immer mit einem Makel belegt, da wünsche ich mir mehr Aufklärung“, betont Bag.
Der Tagesablauf widmet sich in erster Linie der Strukturierung des Alltags. „Wir schauen, dass die Jugendlichen ausreichend von ihren Problemen abgelenkt werden, sich aber gleichzeitig ausreichend mit diesen auseinandersetzen“, erklärt Bag. Der Schutz auf Station 19 tut vielen gut, auch ohne Handy, Familie, Schule, Freundeskreis. Oder vielleicht gerade deswegen. „Gesellschaftsspiele, Ausmalbilder, Volleyball – die Jugendlichen entdecken hier ganz andere Seiten“, sagt Kienast. In genehmigten Ausnahmefällen dürfen die Mädchen und Jungen auch mit zum Spaziergang oder zum Einkaufen.
Das Team von Station 19 möchte motivieren, Mut machen für das Leben „draußen“. „Wir sind eine Akutstation. Das bedeutet, wir identifizieren das Problem und schauen, wie und wo es weitergeht“, erläutert Kienast. „Das Schöne ist, wenn Patienten entlassen werden können, geht es ihnen gut.“ Und bislang sei noch jeder und jede entlassen worden. Doch es gibt auch sogenannte Wiederkehrer.
Grundsätzlich, so Kienast, dürfe man nicht vergessen, dass die meisten jungen Menschen psychisch gesund seien. „Wir haben hier die schweren Fälle, die meisten anderen kommen klar.“