Körper, die Tätowierungen tragen, gehören zum Alltag unserer Gegenwart. Sowohl die Entscheidung für ein Tattoo als auch die ausgewählten Motive werden als Ausdruck hochgradiger Individualisierung empfunden. In der griechisch-römischen Antike hingegen dienten solche Markierungen am Körper vor allem der Kennzeichnung von sozia-len oder kulturellen Unterschieden. Doch was passiert, wenn Motive aus längst vergangenen, antiken Gesellschaften auf einmal in den Hautbildern des 21. Jahrhunderts auftreten? Dieser Frage widmet sich noch bis zum 17. August die Ausstellung „Tattoo. Antike, die unter die Haut geht“ im wiedereröffneten Museum August Kestner am Platz der Menschenrechte neben dem Neuen Rathaus. Sie nimmt zeitgenössische Tätowierungen von Bildmotiven aus dem antiken Mittelmeerraum in den Blick und widmet sich den antiken Tätowierpraktiken in Ägypten, Griechenland und Rom. Schließlich werden beide Blickwinkel zusammengeführt, indem Motive neuzeitlicher Tätowierungen ihren Vorbildern in Form antiker Statuen und Büsten sowie anderer archäologischer Zeugnisse gegenübergestellt werden.
Dieser Teil der Ausstellung beruht auf der Mitwirkung von Menschen, die über ihre Tattoos sprechen und sich für die Ausstellung haben fotografieren lassen. Die Ausstellung übernimmt eine Idee, die vom Antikenmuseum der Universität Leipzig entwickelt wurde und in Kooperation durchgeführt wird. Für Hannover wurde das Konzept um den Aspekt der „Lebenden Bildergalerien“ und „Blauen Damen“ erweitert, der Postkarten von tätowierten Schaustellerinnen und Schaustellern aus der Sammlung des hannoverschen Historikers und Philokartisten (Ansichts- und Postkartensammler) Andreas Bornemann. Neben antiken Originalobjekten stechen besonders Gipsabgüsse im Originalformat ins Auge. Die prominenteste Statue ist sicher die „Venus von Milo“, die eines der beliebtesten Tattoo-Motive mit Antikebezug ist. Aber auch das historische Korkmodell des Kolosseums aus dem frühen 19. Jahrhunderts steht für eines der präsentierten Tattoos. Wer sich vor Ort tätowieren lassen möchte: Während der Laufzeit der Ausstellung finden am 25. April, 23. Mai, 27. Juni und 17. August im Museum Live-Sessions mit Timo Möhlenbrock statt. Anmeldung unter www.tmo-tattoos.com.
Wer die Tattoo-Ausstellung besucht, sollte nach dem Einlass mal rechter Hand in das neue Mitmachfoyer Sammler*s schauen. Die dreimonatige Schließzeit des Museums - rund 150.000 Ausstellungsstücke mussten verpackt und in das neue Sammlungszentrum an der Vahrenwalder Straße transportiert werden – wurde genutzt, um diesen Bereich im Erdgeschoss umzugestalten. Das Sammler*s ist jetzt ein Raum für Begegnung, Unterhaltung, Information und Genuss. Hier können kleine und große Besucher, Spaziergänger und Gäste lesen, spielen, arbeiten, snacken oder plaudern - und das ohne Museumsticket. Gemeinsam mit dem Museumsteam wurde das Sammler*s von dem niederländischen Streetart-Kollektiv Kamp Seedorf und dem Gestaltungsbüro MAF. Studio (Amsterdam) gestaltet.
Die Zeichnungen von Kamp Seedorf zeigen Objekte aus der Museumssammlung. Als sogenannte Pasteups, Straßenkunst aus Papier und Kleister, sind sie großflächig auf Wände, Decken und Mobiliar aufgeklebt. Die Besucher sind eingeladen, das urbane Kunstwerk weiterwachsen zu lassen: Bilder können gestaltet und Wände, Möbel, Decken damit beklebt werden. Es kann also jeder eine eigene künstlerische Spur hinterlassen – und das ganz legal. WLAN steht zur Verfügung, kleine Snacks und Getränke werden angeboten. Eine wechselnde Auswahl von Zeitschriften und Büchern zu besonderen Museumsthemen liegt zur Ansicht bereit. So ist das Sammler*s auch ein idealer Ort für die Vor- oder Nachbereitung des Ausstellungsbesuchs. Für jeweils ein halbes Jahr werden dort wechselnde private Sammlungen von Hannoveraner*innen ausgestellt. Auf niedrigschwellige Weise macht das Mitmachfoyer damit auf einen wesentlichen Teil der Museumsarbeit aufmerksam: das Sammeln von Dingen. Ohne die Sammelleidenschaft von August Kestner und vielen weiteren privaten Sammlern gäbe es Hannovers ältestes Museums nicht.