Kurz darauf weist Stumpf die 86-Jährige an, wie sie sich am besten positionieren kann. „Das haben Sie gut gemacht“, sagt die Passantin, als sie einen Blick auf die Bilder wirft. Auf dem Foto rollt ihr eine Träne über die Wange. Zu sehen ist die Interaktion mit der 86-Jährigen in einem Video auf Stumpfs Instagram-Kanal, hochgeladen am 6. März.
„Die Gespräche sind das, was die Videos ausmachen“, sagt Stumpf. „Das Schöne ist der Gesichtsausdruck der Menschen, wenn man sie anspricht und ihnen ein Kompliment macht.“
Florian Stumpf alias „floztu” steht als Straßen-Fotograf für gewöhnlich hinter der Kamera und bittet fremde Menschen in Göttingen, Kassel und Hannover, ein Porträtfoto von ihnen aufnehmen zu dürfen.
Die Interaktion mit den Passanten filmt der 27-Jährige nebenbei und veröffentlicht die Videos in den Sozialen Medien. Inzwischen folgen Stumpf mehr als 120.000 Menschen auf Instagram, fast 180.000 sind es bei TikTok (Stand 10. März).
In den Videos ist zu sehen, wie die Passanten anfangs oft skeptisch auf die Frage von Stumpf reagieren, ob er sie fotografieren dürfe. Einige geben an, sich nicht fotogen genug zu fühlen. Anderen fällt es sichtlich schwer, die Komplimente des Fotografen anzunehmen. Doch am Ende kommentieren die Protagonisten das eigene Bild meist mit einem Lächeln.
Auch der Göttinger Wolfgang Pick wird von Stumpf in der Göttinger Innenstadt fotografiert. „Es hat mich noch nie jemand angesprochen, um ein Foto von mir zu machen“, sagt Pick und lächelt. „Ich habe ihn ausgewählt, weil er ein besonderes Aussehen hat und die Farben seiner Mütze gut mit dem Hintergrund harmonieren“, sagt Stumpf.
Als Dankeschön druckt der 27-Jährige die Bilder aus und kommt währenddessen mit den Fotografierten ins Gespräch über das, was ihnen gerade auf dem Herzen liegt. Nicht selten werden diese Unterhaltungen emotional – das kommt gut an bei den Followerinnen und Followern.
Das erste Video lud der Fotograf im Dezember 2022 hoch, mit der Motivation, seine Fähigkeiten in der Porträtfotografie zu verbessern. „Seitdem haben sich meine Videos schon sehr verändert“, sagt er.
Damals sei es ihm mehr um die Fotos und weniger um den Dialog mit den Menschen gegangen. „Aber ich habe gemerkt, wie gut diese Interaktionen bei den Zuschauern ankommen.“ Reaktionen und Kritik an seinen Bildern bekomme er seither weniger. Viel mehr kommentieren Nutzer die Reaktion der Fotografierten. „Ich bin eigentlich eher Interviewer als Fotograf“, sagt Stumpf.
Nach welchen Kriterien der Lehramtsstudent seine Models auswählt? „Ich schaue nach Leuten, die aus der Masse herausstechen, weil sie etwas Besonderes haben“, sagt er. „Das kann die Kleidung oder das Gesicht sein.“
Auf fremde Menschen zuzugehen, sei anfangs noch eine Herausforderung für ihn gewesen. „Ich bin eigentlich gar kein extrovertierter Mensch“, sagt Stumpf. Inzwischen sei der Kontakt mit fremden Menschen jedoch zur Gewohnheit geworden – und eine gute Übung, um für den Beruf als Lehrkraft Selbstvertrauen aufzubauen.
Um die Videos zu drehen, hält er sich meist in belebten Seitenstraßen auf. Größere Menschenmengen seien zwar praktisch, weil dort mehr potenzielle Models unterwegs sind, „andererseits brauche ich dafür Ruhe“, sagt Stumpf.
Wie viele Menschen er an einem Nachmittag fotografiert und filmt, ist immer unterschiedlich. Manchmal ist er vier Stunden unterwegs und kann nur zwei Videos verwenden. An anderen Tagen fotografiert er mehr als zehn Menschen in zwei Stunden. „Pro Video kommen dann noch zwei bis vier Stunden Schnitt und Bearbeitung dazu.“
Seine Liebe für die Fotografie entdeckte Stumpf, als er die Spiegelreflexkamera seines Vaters benutzen durfte, sagt der Lehramtsstudent. Zunächst sei das Hobby dann im Sand verlaufen, bis ihn vor drei Jahren schließlich erneut die Motivation gepackt habe. Die nötigen Fertigkeiten und das Fachwissen habe er sich selbst angeeignet, sagt Stumpf. Inzwischen könnte sich der 27-Jährige vorstellen, beruflich den Fokus auf die Fotografie zu legen. „Ich fotografiere auch gerne Hochzeiten oder Veranstaltungen. Hauptsache Menschen“, sagt er.Die Straßenfotografie möchte er nach Möglichkeit fortsetzen. „Es ist ein schönes Gefühl, wenn ich den Menschen etwas zurückgeben kann. Denn die Leute geben mir etwas von sich.“