„Toiletten-Sven“ nennen ihn Kollegen, und er nimmt es ihnen nicht übel. Toiletten sind sein Beruf. Die Stadt Hannover unterhält 50 öffentliche Anlagen. Ihr Zustand erzählt auch von den Zuständen im Umfeld – siehe Raschplatz. Anclam reinigt nichts, er repariert auch nicht. Er kontrolliert. Er soll im Auftrag der Stadtentwässerung dafür sorgen, dass eine aussieht wie die andere: sauber und heil – was eben mal leichter fällt und mal fast unmöglich ist.
Anclam hat kurz geschorene Haare, einen festen Händedruck, ein freundliches Lächeln. Er bevorzugt das Du. „Ich habe gerade noch einen Schläfer aus der Toilette hinter mir herausgeholt“, sagt er zur Begrüßung. Das komme eben „ab und zu“ vor: Drogensüchtige oder Obdachlose, die ihren Rausch ausschlafen, wo andere ihre Notdurft verrichten. Er wirkt dabei nicht mitgenommen. Auf Situationen, in denen es durchaus auch mal gefährlich werden kann, scheint ihn sein Leben ausreichend vorbereitet zu haben.
Der gebürtige Laatzener war mit 16 Jahren Niedersachsenmeister im Judo, diente danach rund fünfeinhalb Jahre bei der Bundeswehr in Munster, war 1992 als Soldat im Bosnienkrieg. 27 Jahre lang war er aktiver Reservist. „Ich habe keine Angst, meinen Beruf auszuüben. Ich kann mich wehren. Wer sich mit mir anlegt, legt sich mit dem Falschen an“, sagt der Stabsfeldwebel a.D.
Wer Ärger machen will, tobt sich auch eher an Waschbecken aus. Immer wieder werden sie herausgerissen. Andere treten WC-Schüsseln aus der Verankerung. Täglich entstehen neue Graffiti, Spiegel werden zerbrochen, Lampen zertrümmert. „Es gibt im Grunde nichts, was die Leute nicht kaputt machen. Das ist ein Riesenproblem“, sagt Anclam.
Eigentlich soll sich jeder in den Toilettenräumen wohlfühlen können. Die meisten sind behindertengerecht, und viele verfügen über eine Wickelmöglichkeit. 47 Anlagen stellt die Stadtentwässerung kostenlos zur Verfügung. Am Kröpcke, an der Marktkirche, am Lister Platz und in den Sommermonaten an der Herrenhäuser Allee kostet der Besuch 50 Cent pro Person. „Von dem Geld allein lassen sich die Toiletten nicht unterhalten. Für uns ist das Angebot jedoch ein Service, der unbedingt dazugehört“, sagt Stadtsprecher Udo Möller.
Betrieben werden sie von der DSM Ströer AG im Auftrag der Stadtentwässerung Hannover. Der Stadtsprecher sagt: „Im Gegenzug kann die DSM innerhalb der Stadt Werbung schalten, zum Beispiel auf Litfaßsäulen, Großplakaten oder Bildschirmen. Dadurch entstehen der Landeshauptstadt bezüglich des Toilettenbetriebes grundsätzlich keine direkten Kosten.“
Für die Reinigung ist die Primetec GmbH verantwortlich. Nach Angaben der Stadt gehen täglich 20 Mitarbeitende auf die Mission „Sauberkeit“. Laut aktuellen Stellenangeboten zahlt die Gesellschaft Vollzeitreinigungskräften dafür den branchenüblichen Mindestlohn, das wären in dem Fall seit 1. Januar 14,25 Euro. Im Jahr würden etwa 20.000 Jumbo-Rollen Toilettenpapier und rund 6000 Liter Reinigungsmittel verbraucht. Das Reinigungsmittel reicht, um eine Fläche von rund 80 Fußballfeldern zu säubern. Die Rechnung für Schäden durch Vandalismus übernimmt DSM Ströer.
Schäden können aber auch entstehen, ohne dass Menschen direkt daran beteiligt sind. An der Marktkirche zeigt Anclam auf ein kleines Loch im Pflaster, links unter der Eingangstür zum Behinderten-WC. „Das waren Ratten. Die haben vor rund einem Monat die komplette Technik zerfressen. So kam ein Schaden von rund 25.000 Euro zustande.“
Einen Preis, der mit Geld nicht aufzuwiegen ist, zahlt Anclam ganz allein. „Ich werde regelmäßig beleidigt, geschlagen und verhöhnt. Arschloch ist noch die freundlichste Beleidigung, die ich mir anhören musste.“ Zudem findet er immer wieder benutzte Spritzen von Drogenabhängigen. So wird jeder Handgriff zum Sicherheitsrisiko. Und eben die Verschmutzungen. „Ich rieche nichts mehr. Zumindest kann ich das auf der Arbeit abstellen. Und alle Ekeleffekte sind in den Jahren auch verschwunden“, sagt Anclam. Trotzdem will er seinem Beruf bis zur Rente treu bleiben. „Ich mache meinen Job jedenfalls gerne. Jeder Tag ist anders. Und keiner redet mir rein“, erklärt der 60-Jährige.Anclam hat vor seinem Engagement bei der Stadtentwässerung fast 30 Jahre hauptberuflich auf dem Bau gearbeitet, lange Zeit als Maurermeister. „Dorthin würde ich heute nicht mehr gehen wollen. Allein körperlich wäre ich dazu auch gar nicht mehr in der Lage. Bauarbeiter leisten einen knochenharten Job. Sie verdienen Respekt.“ Den wünscht sich auch Anclam für sich selbst. „Meckern tun viele, vor allem, wenn eine Toilette mal wieder wegen Vandalismus geschlossen werden muss. Aber bedankt hat sich bei mir noch nie jemand.“