Vier Pilz-Apps habe ich mir heruntergeladen, drei davon mit Bilderkennungsfunktion. Sie sind die ersten Einträge, wenn man „Pilze“ im Google Play Store eingibt, haben teils mehr als eine Million Downloads und sind sehr gut bewertet. Um einen Pilz zu identifizieren, muss man ihn nur vor die Kamera halten. Manchmal reicht ein Foto, manchmal sollen es mehrere sein. Optional kann man Informationen wie den Fundort oder bestimmte Merkmale angeben. Dann gibt die App basierend auf Bilderdatenbanken ein Ergebnis aus.
Einen Fliegenpilz, der mir rot aus dem Herbstlaub entgegenstrahlt, können alle drei Apps korrekt bestimmen. Auch bei einem Gemeinen Riesenschirmling sind sie sich einig. Ich finde dann einen braunen Pilz mit flachem Hut und Lamellen, in dem eine App eine giftige Champignonart sieht, eine andere den Riesenschirmling, die dritte den giftigen Rosablättrigen Egerlingsschirmling.
Auch bei weiteren Funden geben die Apps verschiedene Ergebnisse an. Ich finde mehrere weiße Pilze, die ich normalerweise nicht einmal anfassen würde: Gelber Knollenblätterpilz. Ungenießbar, sagen zwei Apps. Die dritte: Kegelhütiger Knollenblätterpilz, giftig. Und ich finde einen Pantherpilz, den erkenne ich auch als Laie. Zwei der Apps geben mir recht. Eine sagt: Grauer Wulstling, essbar. Der Pantherpilz ist einer der giftigsten Pilze in den deutschen Wäldern. Bei Verzehr kann er tödlich sein.
„Die Apps, bei denen man einfach nur ein Foto vom Pilz machen muss und dann wird ein Name ausgespuckt, sind kreuzgefährlich“, hat mir Stefan Fischer, Pilzsachverständiger bei der Deutschen Gesellschaft für Mykologie, zuvor am Telefon gesagt. „Man verlässt sich da auf eine Wahrscheinlichkeitsrechnung.“ Er wolle Pilzbestimmungs-Apps nicht prinzipiell verteufeln – nur den leichtfertigen Umgang mit ihnen: „Die meisten Laien wollen einen Pilz fotografieren und wissen, ob sie ihn essen können. Sie interessieren sich gar nicht dafür, welchen Pilz sie da genau gefunden haben.“
Für echte Sicherheit beim Pilzesammeln müsse man sich mit dem Thema zumindest ein bisschen auskennen, sagt Fischer. Oder sich belesen – mit den Texten, an denen man bei einem Pilzratgeber in Buchform nicht herumkommt. In den Apps seien die Texte meist rudimentär gehalten oder man müsse sie eigens aufrufen. Kurz gesagt: „Wenn man sich wirklich nur informieren will, können Pilzerkennungs-Apps durchaus nützlich sein. Sie sind nur gefährlich, weil sie eine Sicherheit suggerieren, die der Laie gar nicht nachprüfen kann.“
Eine vierte App, die mir von mehreren Seiten empfohlen wurde, ist das virtuelle Lexikon „Meine Pilze“. Statt einer Bilderkennung müssen die Nutzer hier Merkmale selbst eingeben. Nach dem Ausschlussprinzip werden dann mögliche Arten angegeben – gemeinsam mit einem Prozentsatz, zu dem sie mit den angegebenen Merkmalen übereinstimmen. Leider gelingt es mir mit keinem der gefundenen Pilze, ein hundertprozentiges Match zu finden. Zu gering ist mein Wissen darüber, ob ein Stiel „boletusförmig“ oder doch „spindelig“ ist.
Ich schreibe dem Entwickler der App: Ist sie überhaupt für Laien geeignet? „Ja und nein“, antwortet Klaus Bornstedt. „Will der Laie wissen, ob ein Pilz essbar ist, so lautet die Antwort bei allen Pilz-Apps und bei allen Büchern: Nein. Will der Laie sein Wissen aufbauen oder vertiefen, ohne die Pilze gleich essen zu wollen, so lautet die Antwort: Ja.“
Die Sachverständigen sind sich einig: Das Wichtigste sei die richtige Einstellung. „Wer Pilze sammeln will, sollte auch etwas darüber lernen und sich nicht nur eine kostenlose Mahlzeit aus dem Wald besorgen wollen“, sagt Fischer. Geld für einen Pilzratgeber ausgeben, den man einsteckt, bevor man sich auf die Suche begibt: Das sind Hürden, die die Verantwortungsbewussten von den Leichtsinnigen trennen. Um sicher herauszufinden, welche Pilze ich gesammelt habe, gehe ich zum Botanischen Museum im Berliner Süden. Dreimal wöchentlich bietet der Pilzsachverständige Hansjörg Beyer derzeit eine kostenlose Beratung an. Über seine Erfahrung mit Pilzerkennungs-Apps sagt er: „Es taugt alles nicht so wirklich.“
Ehe Beyer Pilze zum Verzehr freigibt, muss er jedes Exemplar einmal in der Hand gehabt haben. Er besieht die Pilze nicht nur, er riecht an ihnen, drückt sie mit dem Daumen ein, um die Festigkeit zu testen, prüft hier, ob sich die Huthaut abziehen lässt, dort, ob der Pilz sich verfärbt, wenn man ihn anschneidet. All das kann eine App nicht leisten – ist aber zur Bestimmung mancher Pilzarten unabdingbar: „Bei Champignons zum Beispiel sind Gerüche für die Bestimmung sehr wichtig.“
Die weißen Pilze, die ich gesammelt habe, sind, das bestätigt Beyer, tatsächlich Gelbe Knollenblätterpilze. Der braune Pilz ist ein giftiger Karbolchampignon – zwei Apps haben hier falschgelegen. Einen essbaren Papageientäubling haben alle Apps falsch, aber zumindest als essbaren Täubling identifiziert. Die Bilanz: Eine der drei Bilderkennungs-Apps lag in fünf Fällen richtig, in einem ist ihr ein wenig gravierender Fehler unterlaufen. Die anderen beiden haben mir mindestens einmal einen tödlich giftigen Pilz als essbar verkauft. Zum Glück habe ich keinen meiner gesammelten Pilze gegessen.
Der Pilzsachverständige Hansjörg Beyer vom Botanischen Garten Berlin prüft bei seinen Beratungsterminen auch, ob die essbaren Pilze in einem ausreichend frischen Zustand sind. Denn die häufigsten Pilzvergiftungen stammen nicht von Gift-, sondern von verdorbenen Speisepilzen. „Leider sind auf diesem Gebiet viele Sammlerinnen und Sammler eher sorglos“, sagt er.
„So werden immer wieder Pilze vorgelegt, die schimmelig oder so stark vermadet sind, dass man sie buchstäblich festnageln müsste.“ Auch das kann eine App nicht erkennen.