Stutes Vorteil: Er gehört zu den Menschen, für die das Glas eher halb voll, statt halb leer ist. „Immerhin gab es ja eine Überlebenschance von 50 Prozent. Das hat mir gereicht!“
Das letzte Konzert vor der Transplantation war ein besonders großes und ein wenig auch ein Geschenk, dass sich der Musiker selbst gemacht hatte: Er trat noch einmal mit seiner Band Marea in der Orangerie in Herrenhausen auf. Sein Freund, der Kabarettist Matthias Brodowy, mit dem er 2013 auch zusammen den Deutschen Kleinkunstpreis gewonnen hatte, führte damals durch das Programm. Viele alte Wegbegleiter und Freunde waren unter den Gästen. Aber nur wenige wussten damals wirklich, dass Wolfgang Stute Leukämie hatte und er mit dem Konzert auch Kraft für seinen wichtigsten Kampf sammeln wollte: „Ich wollte keine Betroffenheit oder so ein Schulterklopfen, das bin ich nicht.“
Eigentlich wollte der Gitarrist nach dem Konzert im Januar in die MHH gehen, doch dann bekam er ausgerechnet noch Corona und die lebenswichtige Stammzellentransplantation musste auf April verschoben werden.
Zweimal hatte in der folgenden Behandlungszeit Stute so einen Tiefpunkt, dass er selbst nicht mehr glaubte, es zu schaffen. „Das ist, als ob dich ein Panzer überrollt hat. Und die ersten 14 Tage nach der Transplantation heißt es einfach nur abwarten, ob sich die neuen Zellen verbinden. 14 Tage wartest du auf Leben oder Tod.“
Seine Familie und Freunde hätten ihm in dieser Zeit eng zur Seite gestanden, durchzuhalten, nach vorne zu blicken. „Meine Frau ist jeden Tag in die MHH gekommen, um mir beizustehen. Zeitweise war ich auf unter 60 Kilo abgemagert. Ich wollte nur noch nach Hause.“
Schließlich habe sein behandelnder Arzt nachgegeben – wie Stute heute sagt, sei das sein Glück gewesen. Endlich wieder daheim. Er sei so schwach gewesen, dass ihn Freunde die Treppe zu seiner Wohnung hätten hochtragen müssen. Als es ihm etwas besser ging, sei er dann täglich in der Eilenriede spazieren gegangen – jeden Tag 100 Meter mehr. Schritt für Schritt zurück ins Leben.
Der Musiker ist froh, es geschafft zu haben: „Ich war vom Alter her gerade an der Grenze, dass überhaupt transplantiert wird.“ Er will mit seiner Geschichte auch Mut machen.
Anfang 2023 habe er das erste Mal wieder Gitarre gespielt. „Seitdem ich 15 Jahre alt war, habe ich noch nie so lange ausgesetzt. Selbst in Urlauben hatte ich immer eine Gitarre mit“, sagt Stute. Er erinnert sich gut an die ersten Spielversuche: „Ich hatte keine Hornhaut mehr, die Fingernägel waren nicht so, wie ich es für das Spielen brauchte, die Hände haben gekrampft, vieles musste ich wieder lernen!“ Eines der ersten „Konzerte“ widmet er seinen Lebensrettern in der Medizinischen Hochschule Hannover: „Zur Verabschiedung von Professor Ganser in den Ruhestand haben Konrad Haas und ich gespielt. So konnte ich meinen Dank an die MHH stellvertretend ausdrücken.“
Im vergangenen Jahr hat Stute seine Auftritte schrittweise wieder aufgenommen. Er hat Schriftsteller Bernhard Schlink bei Lesungen musikalisch begleitet, er ist mit Konrad Haas und Autor Paul Maar („Das Sams“) aufgetreten, und er hat für seine Band Marea, die musikalisch einen ganz eigenen Mix aus Klassik, Latin, Flamenco und Jazz spielt, neue Stücke komponiert.
Jetzt gibt es wieder ein großes Konzert. Um das Leben zu feiern. Freund Matthias Brodowy, einer der wenigen, der damals von Stutes Erkrankung wusste, führt durchs Programm. „Er sagte damals: Wenn du das überlebst, wiederholen wir das Konzert“, sagt Stute. Dieses Mal ist es im Pavillon, am 14. November, um 20 Uhr. Noch gibt es Karten dafür.
Es ist eine ganz besondere Premiere. Erstmalig gibt es für einige Marea-Songs auch Texte. Die werden von Sängerin Hanna Prins vorgetragen. Prins hat unter anderem mit Steve Hackett von Genesis, Fish von Marillion, Jesse Siebenberg von Supertramp und Hermann van Veen zusammengearbeitet.
Die Band Marea wird mit den festen Mitgliedern, dem Steinwolke-Frontmann Konrad Haas, mit Noah-Studio-Chef und Bassist Jens Bernewitz, dem Perkussionisten Hilko Schomerus, der schon mit Randy Crawford und Phil Collins gespielt hat, und Wolfgang Stute auftreten. Außerdem stößt als besonderer Gast Gitarrist Jens Kramer hinzu, bekannt auch durch die Bands Steinwolke, Der wahre Carlos und als Gastspieler „Prof. Dr. Dr. Smøre Brød“ bei der Band Los Tumpolòs.
„Musik ist mein Motor“, sagt Stute. Mit Marea meldet er sich nun zurück von seinem ganz besonderen Kampf. Und will so seine Freude darüber weitergeben. Weil es das Leben wert ist.