Für Binnenschiffer Benedikt Scherhag von der „Dreadnought“, einem 1897 gebauten und 1954 generalüberholten Frachtschiff, bedeutete die dreitägige Zwangspause wegen des hölzernen Bremsklotzes neben einem zeitlichen auch einen finanziellen Verlust. Auf jeder Seite der Schleuse mussten mehr als 100 Schiffe auf die Weiterfahrt warten. „Wir können ja, anders als Lastwagen, nicht einfach einen anderen Weg nehmen“, sagt der 30-Jährige.
Im Gegenteil: Nur der Mittellandkanal funktioniert als Ost-West-Verbindung. Wer also, wie aktuell Scherhag, seine Fracht von Hamm-Uentrop nach Berlin-Rummelsburg oder zurück bringen muss, kann nicht auf eine andere Wasserstraße ausweichen. Er muss sich bei der Schleuse anstellen und warten, auch an guten Tagen mindestens eine Stunde. Deshalb beobachtet die Branche mit Sorge, dass der Bund seit Jahren zu wenig Geld in den Erhalt der Infrastruktur investiert.
In diesem Jahr stehen nach Angaben des Bundesverbandes der Deutschen Binnenschifffahrt (BDB) insgesamt 725 Millionen Euro für Erhalt, Aus- und Neubau der Bundeswasserstraßen im Bundeshaushalt. „Das reicht noch nicht einmal aus, um den Substanzerhalt zu sichern“, sagt BDB-Referent Fabian Spieß. Denn bereits 2015 habe die damalige Bundesregierung den jährlichen Bedarf mit 900 Millionen Euro angegeben, davon entferne sich die Ampelkoalition im geplanten Haushalt 2025 noch weiter.
„Wir wissen, dass der Etat gekürzt werden soll, allerdings nicht, um welche Summe“, sagt Spieß und spricht von einem Sanierungsstau bei Brücken, Schleusen und Wehren. Außer dem Geld fehle das Personal bei den Behörden, um die Projekte zu bewältigen. „Hinzu kommen zu lange Planungs- und Genehmigungsverfahren, die dazu führen, dass beschlossene Wasserstraßenprojekte oftmals erst nach vielen Jahren in die Umsetzung gebracht werden können“, sagt der Referent.
Dabei gibt es ein klar von der Politik formuliertes Ziel: Der Anteil der Binnenschifffahrt am Güterverkehr soll bis 2030 von derzeit 6 auf dann 12 Prozent steigen. Beinahe täglich, sagt Binnenschiffer Scherhag, sehe er aber die Beispiele für unzureichende Wartung oder Sanierung: Die Wasserstraßen würden nicht genug ausgebaggert, die Liegeplätze reduzierten sich wegen defekter Poller, Häfen wie in Mölln stünden vor dem Aus, es fehlten Bunkerstationen für Diesel und Wasser. „Wir fordern längst keinen Ausbau mehr, sondern den Erhalt und die Pflege des Bestands“, sagt er. Es sei nicht nachzuvollziehen, dass Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) neue Autobahnen bauen lassen wolle, während zugleich die Trampelpfade an den Wasserstraßen nicht geschnitten würden.
Dabei zeigten alle Statistiken, dass Binnenschiffe deutlich umweltfreundlicher als Lastwagen unterwegs seien, sagt Scherhag. Allein sein Schiff könne die Fracht von 37 Lastwagen transportieren, große Schiffe nach BDB-Angaben die Frachtmenge von bis zu 150 Lastwagen. „Die Niederlande haben das längst erkannt“, sagt der Binnenschiffer. Sie pflegten nicht nur die Wasserstraßen so, dass viele Orte über kleine Stichkanäle an das große Netz angebunden seien. Wer seine Fracht per Schiene oder Schiff transportieren lasse, könne zudem mit einem steuerlichen Anreiz rechnen. „Noch gibt es freie Kapazitäten auf den Schiffen, denn noch gibt es Binnenschiffer“, sagt der 30-Jährige, der als Partikulier arbeitet – also sein eigenes Schiff auch selbst fährt.
Diese Einschätzung bestätigt auch Spieß: „Die Menge der über die deutschen Wasserstraßen per Binnenschiff transportierten Güter entwickelte sich im Jahr 2023 insgesamt rückläufig.“ Das liege zum einen daran, dass die Nachfrage nach Transporten von Steinkohle sinke. Zum anderen wirke sich die schwächelnde Baubranche aus: „Da die Binnenschifffahrt ein wichtiger Transporteur von Baustoffen ist, schlägt sich auch dies negativ bei den Transportmengen nieder“, sagt er.
Zumindest für den Mittellandkanal aber kann Ripphahn den Negativtrend nicht erkennen: „Der Güterverkehr an den Schleusen in Anderten und Sülfeld ist im vergangenen Jahr leicht gestiegen“, betont der Fachbereichsleiter vom Wasser- und Schifffahrtsstraßenamt. Derzeit werden jährlich knapp 20.000 Schiffe und bis zu elf Millionen Tonnen Güter über Anderten transportiert. Seit 2005 wird die Schleuse dafür rund um die Uhr betrieben.
„Ich möchte ein selbstbestimmtes Leben führen“, sagt Benedikt Scherhag, Eigner und Schiffsführer der 75 Meter langen „Dreadnought“. Deshalb gefalle ihm die Arbeit als Binnenschiffer auch so gut, wobei natürlich auch seine Heimatstadt Lübeck mit der Nähe zur Ostsee und zur Trave eine wichtige Rolle spielt. Im Gegensatz zu seiner Familie: „Meine Eltern arbeiten in ganz anderen Berufen“, sagt der 30-Jährige, der zunächst eine Ausbildung als Schiffsmechaniker absolvierte und damit wichtige Qualifikationen in Navigation oder Sicherheitstraining und auch Patente erwarb, die er für die jetzige Arbeit benötigt.
Vor drei Jahren begann er als angestellter Kapitän auf dem Frachtschiff, vor einem Jahr kaufte er dem damaligen Eigentümer das Schiff ab und taufte es auf den Namen „Dreadnought“ („Fürchtenichts“). „Das passt ganz gut, weil wir ja bei Wind und Wetter unterwegs und den Elementen ausgesetzt sind“, sagt Scherhag, der auf seinem Schiff insbesondere Getreide und Futtermittel, aber auch Baustoffe wie Zementklinkersteine oder Rotoren und Motoren für Windräder transportiert.
Die bundesweiten Aufträge erhält er über eine Genossenschaft, ebenso wie die Termine für das Laden und Löschen der Fracht. „Als Partikulier, also als Eigentümer, der sein eigenes Schiff steuert, muss ich alles beherrschen“, sagt Scherhag, der am Heck des Schiffes eine kleine Wohnung für sich und die beiden Bordkatzen eingerichtet hat. Am Bug befinden sich die Räume für den Boots- und für den Steuermann, die in mehrwöchigen Wechselschichten auf der „Dreadnought“ arbeiten.
Etwa 4500 Binnenschiffer arbeiten nach Aussage von Fabian Spieß, Referent beim Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt (BDB), auf Schiffen, hinzu kommen etwa 1500 Beschäftigte, die sich an Land beispielsweise um die Disposition kümmern. Seit 2022 gibt es zwei Ausbildungsberufe: Drei Jahre dauert die duale Ausbildung zum Binnenschiffer, dreieinhalb Jahre die zum Binnenschifffahrtskapitän, wie Gerit Fietze sagt, Leiter des BDB-Schulschiffs „Rhein“. Ein Schulabschluss sei nicht erforderlich, aber: „Die meisten besitzen einen Hauptschulabschluss oder die mittlere Reife.“
„Wer sich für den Beruf interessiert, kann in einem Unternehmen anrufen und ein Praktikum oder eine Ausbildung dort beginnen“, sagt Fietze und verweist auf offene Stellen, die der BDB auf seiner Homepage veröffentlicht. Ungelernte starteten als Decksmann, der bereits zur Besatzung gehöre und notwendige Fahrtage, also Praxiserfahrung, sammeln könne. Anschließend gebe es für Quereinsteiger unterschiedliche Wege der Qualifizierung, die sich jede und jeder nach dem gewünschten Beruf wählen könne. Eine Voraussetzung aber gelte für alle: „Wer auf einem Schiff arbeiten möchte, muss vor allem teamfähig sein.“
Darauf legt auch Scherhag großen Wert: „Wir sind ja über Wochen immer gemeinsam unterwegs und können uns nicht aus dem Weg gehen“, sagt er und fügt hinzu, er könne nicht mit einem Bombengehalt punkten, wohl aber mit guter Stimmung an Bord. Er selbst ist seit April ununterbrochen an Bord: „Inzwischen überlege ich sogar, meine Wohnung an Land aufzugeben“, sagt er.