Kinder und Jugendliche seien für die Lebensmittelindustrie als Werbezielgruppe äußerst interessant, sagt Luise Molling von der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch. Das liege zum einen am Geld, dass diese selbst ausgeben können: Laut der Kinder-Medien-Studie 2019 lag die Kaufkraft von Kindern und Jugendlichen in den vergangenen Jahren bei etwa 3 Milliarden Euro pro Jahr. „Und dieses Geld wird neben Zeitschriften hauptsächlich für Dinge wie Chips und Süßigkeiten ausgegeben“, sagt Molling. Zum anderen würden Kinder natürlich die Kaufentscheidungen der Eltern beeinflussen.
Eine Übersichtsstudie amerikanischer Forschender hat gezeigt, dass an Kinder gerichtete Werbung sich auch auf das Verhalten der Eltern auswirkt. Diese sorgt nämlich dafür, dass Kinder ihre Eltern zum Kauf bestimmter Lebensmittel drängen: und zwar vor allem zum Kauf von solchen, die mit Übergewicht und Diabetes assoziiert sind. Im vergangenen Jahr hat zudem eine große Metaanalyse bestätigt, dass Lebensmittelwerbung den Konsum und die Ernährungsgewohnheiten von Kindern und Jugendlichen beeinflusst.
An Kinder gerichtete Lebensmittelwerbung bewerbe fast ausschließlich ungesunde Produkte, sagt Expertin Molling. Der Grund seien die hohen Gewinnmargen bei Snacks, zuckrigen Limonaden und Frühstücksflocken. Dabei wüssten die Konzerne natürlich, dass die Kindheit das spätere Ernährungsverhalten prägt, sagt Molling: „Wenn es schon bei Kindern gelingt, eine Markenbindung zu bestimmten Produkten herzustellen, haben sie Konsumenten fürs Leben gewonnen.“
Ähnlich begründet auch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) einen Gesetzentwurf für eine Beschränkung der an Kinder gerichteten Lebensmittelwerbung. Durchschnittlich 92 Prozent der Lebensmittelwerbung, die Kinder in Internet und TV wahrnehmen, sei für Produkte wie Fast Food, Snacks oder Süßigkeiten. Dabei werde „gerade im Kindesalter Ernährungsverhalten entscheidend für das weitere Leben geprägt.“ Lebensmittelwerbung habe einen „nachhaltigen Einfluss“ auf das Ernährungsverhalten von Kindern unter 14 Jahren. Diese seien zudem „besonders empfänglich für Werbung.“
Molling kann das bestätigen: „Kinder sind naiv“, sagt sie. „Bis zum Alter von vielleicht 11 oder 12 Jahren fällt es ihnen schwer, redaktionelle Inhalte und Werbung zu unterscheiden, und kleine Kinder verstehen natürlich noch viel weniger.“ Gleichzeitig seien sie emotional besonders leicht ansprechbar. „Jeder, der schon einmal mit einem kleinen Kind durch den Supermarkt gelaufen ist weiß, wie leicht sie von süßen und niedlichen Tieren auf Produktpackungen angesprochen werden.“
Das Problem seien aber nicht nur Comic-Figuren auf Verpackungen. „Kindermarketing ist jedes Marketing, das Kinder erreicht“, sagt Molling. Dazu zählten auch Plakate im öffentlichen Raum. Ihr Sohn habe schon als Zweiiähriger sehr gut die Pommes auf Mc-Donalds Plakaten erkannt. Auch Werbung für Süßgetränke und Snacks durch Sponsoring bei Sportveranstaltungen sei für Kinder und Jugendliche sehr präsent. „Das ist besonders problematisch, weil diesen Lebensmitteln dadurch ein sportlicher Anstrich verliehen wird“, so Molling. Werbespots im TV spielten ebenfalls nach wie vor eine große Rolle. Und zwar nicht nur die, die während klassischer Kinderprogramme laufen: Schließlich würden Kinder und Jugendliche häufig auch Unterhaltungsshows und Blockbuster mit der Familie anschauen.
Dazu komme heute das Marketing im Internet über sogenannte Influencer und Influencerinnen: Youtube oder Tiktok-Stars, die für Produktplatzierungen und Werbung in der Regel bezahlt werden. Foodwatch hatte 2022 den „Junkfluencer Report“ veröffentlicht. Darin sind zahlreiche Beispiele dafür aufgelistet, wie Influencer und Influencerinnen für zuckerhaltige Getränke, Fastfoodketten und Süßes werben.
„In jedem Fall ist der Einfluss von Influencern auf Kinder und Jugendliche bedenklich, weil diese als eine Art Freunde oder Freundinnen angesehen werden, denen man gerne etwas nachmacht“, sagt Molling. Noch dazu würden Kinder und Jugendliche in sozialen Netzwerken selbst zu kostenlosen Werbeträgern gemacht, wenn sie an sogenannten „challenges“ teilnehmen. Der Social-Media-Star Simon Desue zum Beispiel isst in einem Tiktok-Video mit seiner Freundin bei McDonalds eine Currywurst um die Wette. Anschließend werden die Follower und Followerinnen aufgerufen, als „challenge“ etwas ähnliches zu tun und ein Video davon zu posten.
Der Gesetzentwurf des BMEL sieht auch vor, Werbung im Netz zu verbieten – allerdings nur solche, die sich an Kinder und Jugendliche bis 14 Jahre richtet. Foodwatch würde gerne darüber hinaus gehen: „Wir finden, dass Kinder bis zum Alter von 18 Jahren geschützt werden sollten. In der Teenagerzeit gibt es sehr hohe Adipositasraten“ , sagt Molling. Noch ist nicht klar, ob und in welchem Ausmaß an Kinder gerichtete Süßigkeitenwerbung in Deutschland verboten wird.
Was aber können Eltern bis dahin tun, die ihre Kinder vor dem Einfluss von Marketing schützen wollen? Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hat im Netz allgemeine Tipps für Mütter und Väter zum Umgang mit Werbung zusammengestellt. Auch schon kleinere Kinder unter sechs Jahren könne man demnach spielerisch für das Thema sensibilisieren. So sollten Eltern mit Kindern über Werbung sprechen und echte Produkte damit vergleichen, wie diese in der Werbung dargestellt werden. Mütter und Väter sollten Kinder auf „versteckte“ Werbung in Apps, auf Onlineseiten oder auch in Filmen hinweisen. Und ihnen erklären, wie die Konsumwelt funktioniert, von wem und unter welchen Bedingungen Produkte hergestellt werden.
Foodwatch hingegen vergleicht es mit einem „Kampf von David gegen Goliath“, wenn Eltern ihre Kinder vor dem Einfluss der Lebensmittelwerbung bewahren wollen. In einem Kommentar auf der Seite von Foodwatch erklärte Molling schon in der Vergangenheit, warum eine Regulierung des Kindermarketings für Foodwatch die einzig richtige Lösung sei: „Es geht uns nicht um Bevormundung, sondern um Befreiung von manipulativer Werbung. Eltern sollen es leichter haben, ihre Kinder gesund zu ernähren. Und dabei nicht gegen Tony Tiger auf den zuckrigen Frühstücksflocken, SpongeBob auf der Cola oder gegen Junkfluencer in den sozialen Medien ankämpfen müssen.“